Immer mehr Flüchtlinge im Dschungel von Calais

Die französischen Behörden haben eingeräumt, dass die Zahl der Bewohner im Flüchtlingslager von Calais massiv angestiegen ist. Zuletzt seien in dem als „Dschungel“ bekannten Lager rund 6900 Flüchtlinge gezählt worden, teilte die Präfektur des Départements Pas-de-Calais mit.
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Hier eine Szene aus dem „Dschungel“ am Stadtrand von Calais.

So viele Flüchtlinge wie nie zuvor

So viele Flüchtlinge hielten sich noch nie in dem im Frühjahr 2015 entstandenen Lager am Ärmelkanal auf. Bei der letzten offiziellen Zählung im Juni waren es noch rund 4500 Flüchtlinge gewesen. Hilfsorganisationen hatten bereits vor einer Woche von einem dramatischen Anstieg der Bewohnerzahl berichtet. Sie gehen von mehr als 9100 Flüchtlingen aus, die sich in dem Lager aufhalten. Calais ist schon seit Jahren einer der Brennpunkte der europäischen Flüchtlingskrise. Die meisten Flüchtlinge in Calais hoffen, über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu gelangen, wo sie sich mehr Chancen auf ein besseres Leben ausrechnen.

Teilräumung im März

Der Staat hat inzwischen Container-Unterkünfte für bis zu 1900 Menschen eingerichtet, daneben leben trotz einer Teilräumung im März weiterhin Tausende Menschen in Behelfsunterkünften. Nach Angaben der Präfektur wurden seit vergangenem Jahr mehr als 5300 Migranten von Calais in Aufnahmezentren im ganzen Land gebracht, weitere Plätze sollen demnächst geschaffen werden.
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LKW-Fahrer fordern Militäreinsatz

Inzwischen droht auch außerhalb des Lagers die Situation zu eskalieren. Britische LKW-Fahrer fordern nun einen Militäreinsatz: Sie würden „24 Stunden am Stück“ gewaltsam von Migranten attackiert, sagen sie. Der britische Spediteurs-Verband RHA (Road Haulage Association) hat sich in einem verzweifelten Appell an die französische Regierung gewandt. Die Situation in Calais,wo seit Monaten tausende Flüchtlinge versuchen, illegal nach Großbritannien zu gelangen, habe sich in den vergangenen  Monaten weiter verschärft. „Die Zahl der Flüchtlinge hat sich in den vergangenen Monaten auf 9000 verdoppelt“, schätzt RHA-Sprecher Richard Burnett. Grund für den erhöhten Druck dafür seien Gerüchte, dass im Zuge des Brexits die Einreise nach Großbritannien bald unmöglich sein könnte. Angeheizt würden diese Gerüchte von Menschenschmugglern, heißt es unter den LKW-Fahrern.

Hier geht es zu einer Reportage über das Leben im „Dschungel“

Der Künstler Banksy hat auf seine Art gegen den „Dschungel“ protestiert

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Ein Banksy-Graffiti in Calais

Gerechtigkeit für die Opfer des IS

Die Internationale Gemeinschaft für Menschenrechte will ein UN-Tribunal  für die Terroristen. Vorbild ist der Prozess gegen die Mörder in Ruanda.

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Die IGFM will ein IS-Kriegsverbrechertribunal

Terroisten prahlen mit ihren Taten

Die  Grausamkeit des so genannten Islamischen Staates (IS) schockt die Welt. Die Terroristen prahlen in Propagandavideos mit ihren Bluttaten gegenüber wehrlosen Menschen, zeigen Exekutionen und posieren mit abgeschlagenen Köpfen. So veröffentlichte der IS im vergangenen Jahr ein Video, das zeigt, wie ein gefangener muslimischer Pilot der jordanischen Luftwaffe bei lebendigem Leib in einem Käfig verbrannt wird. „Wir dürfen diese Gräueltaten nicht einfach hinnehmen“, fordert Martin Lessenthin, Sprecher des Vorstandes der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). „Die Verantwortlichen des IS müssen vor einem Internationalen Strafgericht zur Rechenschaft gezogen werden.“

Forderung nach einem Tribubal

Die Forderung wird von vielen Organisationen mitgetragen, ist juristisch allerdings nicht ganz einfach umzusetzen. So kann der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag die Täter nicht verfolgen, erklärt Lessenthin. „Er kann nur Täter in den Ländern bestrafen, deren Regierungen dem Abkommen darüber beigetreten sind.“ Das Problem: Syrien und der Irak sind es nicht. Deshalb fordert die IGFM, dass im Fall des IS ein Gerichtshof neu geschaffen werden muss, ähnlich den Vorbildern des Ruanda- oder Jugoslawien-Tribunals. „Das sind gute und auch erfolgreiche Beispiele, dass die Täter zu belangen sind“, sagt Martin Lessenthin.  Vorläufer in der Rechtsgeschichte für diese Tribunale war der Internationale Militärgerichtshof, vor dem der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges verhandelt wurde.

Es muss Gerechtigkeit geschehen

Es müsse gesichert sein, dass die Schuldigen von furchtbaren Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder auch des Genozides an den Jesiden nicht straffrei davon kämen. „Wir sind den Opfern schuldig, dass hier Gerechtigkeit geschieht“, so der IGFM-Vorstandssprecher, zudem ist er überzeugt: „Ein solches Kriegsverbrechertribunal dient auch als Abschreckung für zukünftige Täter.“ Er  unterstreicht auch, dass ein solches Verfahren ein wichtiges Mittel der Dokumentation und Aufarbeitung der Verbrechen ist. Lessenthin: „Die Auseinandersetzung damit ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass in der Region ein Neuanfang tatsächlich gelingen kann.“

Eine Kampagne der IGFM

Solch ein Ad-Hoc-Gericht kann allerdings nur der UN-Sicherheitsrat beschließen. Der IGFM hat nun eine Kampagne ins Leben gerufen, um die Vereinten Nationen zu diesem Schritt zu bewegen. „Dazu müssen wir genügend Druck aus der Zivilgesellschaft aufbauen“, erklärt Lessenthin. Auch das Jugoslawien-Tribunal oder die Entstehung des Internationalen Strafgerichtshofes seien nur auf massiven Druck aus der Zivilgesellschaft entstanden.

Um ihr Ziel zu erreichen, hat die Menschenrechtsorganisation eine Petition gestartet. Dazu werden in den nächsten Monaten von der IGFM Unterschriften gesammelt. Der Appell wird über die Sozialen Netzwerke verteilt und kann natürlich auch von der IGFM-Internetseite heruntergeladen werden.

 

Beweise gibt es viele

Beweise für die Gräueltaten zu finden, ist nach Ansicht  von Martin Lessenthin überhaupt kein Problem. „Diese Leute stellen ihre Verbrechen ja selbst ins Internet“, sagt er. „Es kursieren genügend Handy-Aufnahmen von den Gewalttaten, die die Täter zeigen. Viele der Verbrecher sind sogar namentlich bekannt.“  Zudem gebe es, wie bei den Ruanda- und Jugoslawien-Tribunalen, genügend Augenzeugen.

Die IGFM konzentriert vorerst auf die Verbrechen des IS. Natürlich hätten auch andere Gruppen und der syrische Diktator Baschar al-Assad schwere Gräueltaten verübt, erklärt Vorstandssprecher Martin Lessenthin. „Wir würden es natürlich begrüßen, wenn ein Tribunal auf ganz Syrien und den Irak ausgedehnt würde.“ Doch die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt ein solcher Ad-Hoch-Gerichtshof eingerichtet wird, sei deutlich höher, wenn der Fokus zunächst auf den so genannten Islamischen Staat gerichtet sei.

Das traurige Ende von Perm 36

Russland schreibt weiter an seiner Geschichte. Die NGO „Historisches Erinnerungszentrum für politische Repression Perm-36“ hat nun endgültig die Arbeit eingestellt. Die Gründer haben aufgegeben, weil sie nicht als „ausländische Agenten“ weiter arbeiten wollten.

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Das Ende des Museums Perm 36

Das Gulag-Museum der Bürgerinitiative Perm 36 erinnerte an den Staatsterror in der Sowjetunion, als einziges seiner Art im heutigen Russland. Es wurde auf dem Gelände eines Straflagers errichtet. Von diesen Einrichtungen gab es hunderte. Die gleichnamige Bürgerinitiative Perm 36 trug vor über 20 Jahren Dokumente und Exponate zusammen, um die Unterdrückung zu Sowjetzeiten anschaulich zu erzählen. Die Historikerin und nun Ex-Museumsdirektorin Tatjana Kursina war von Anfang an dabei.

Hier ein Link zur Berichterstattung im „Kommersant“

Hier ein Link zur Novaya Gazeta

Ständiger Streit mit den Behörden

Die Macher wurden am Ende nicht einmal mehr auf das Lagergelände gelassen. Begründung: Die Gebäude gehörten dem russischen Staat. Für den spricht der neue Gouverneur. Einfach war es mit den russischen Beamten, ihrem permanenten Misstrauen nie. Das jährliche Festival „Pilorama“ war der Obrigkeit suspekt, die tagelangen Diskussionen mit den Schriftstellern, Wissenschaftlern, Künstlern, Musikern, wie „Maschina Wremeni“ (Zeitmaschine), eine der bekanntesten Bands Russlands. Sie trat mehrmals im Gulag-Museum auf, jetzt sagen etliche Veranstalter Konzerte mit „Maschina Wremeni“ ab.

 

Eine neue Ausrichtung der Geschichte

Weder der russische Präsident Putin noch Premier Medwedjew haben sich gegen das Gulag-Museum Perm 36 ausgesprochen. Es sei sogar notwendig, betonten sie immer wieder. Doch schon auf einer Geschichtslehrerkonferenz 2007 hat Putin die künftige Ausrichtung der Geschichtsschreibung vorgegeben. Russland habe düstere Kapitel in seiner Geschichte. Doch solle man nicht bei den Verbrechen Stalins verweilen, sondern seine Erfolge beim Aufbau einer ruhmreichen sowjetischen Vergangenheit zeigen.

Die Arbeit geht weiter

Das Museum ist nun Vergangenheit, aber die Arbeit des „Historischen Erinnerungszentrums für politische Repression Perm-36“  geht weiter. Die Museumsschule findet künftig in Albanien statt, das Festival Pilorama-Lab in den Niederlanden.

 

Erdogans Tanz mit den Teufeln

Recep Tayyip Erdogans Kontakte zu  Terrororganisationen sind altbekannt. Bisher wurde vom Rest Europas dazu  geschwiegen. Nun sind durch eine peinliche Panne in Berlin bekannt geworden, dass die Regierung die Türkei „zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der ­Region des Nahen und Mittleren Ostens“ hält.

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Recep Tayyip Erdogan paktiert bisweilen mit zwielichtigen Gruppen.

Eine peinliche Panne in Berlin

Recep Tayyip Erdogan  tanzt mit dem Teufel. Der gefährliche Flirt des ­türkischen Präsidenten mit gleich mehreren Terroristengruppen kann auf Dauer nicht gut gehen. Diese Einschätzung scheint auch die deutsche Bundesregierung zu teilen. Das geht aus einem vertraulichen Papier hervor, das überraschend an die Öffentlichkeit gelangt ist. Erstaunlich  ist weniger der Inhalt. Peinlicher ist, dass es offenbar schwere Abstimmungsprobleme zwischen den Berliner Ministerien gibt und die brisanten Geheimdokumente nicht ­lange geheim geblieben sind.

Die Türkei spielt eine zentrale Rolle

Nun weiß also die Welt,  dass auch der Bundesregierung nicht entgangen ist, dass die Türkei „zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der ­Region des Nahen und Mittleren Ostens“ geworden ist. Allerdings hat nicht nur Berlin  verbissen zu dieser Tatsache geschwiegen. Das kann man verurteilen, für die Zurückhaltung  gibt es aber auch  gute Gründe. Zum einen spielt die Türkei als  Nachbar ­Syriens, Nato-Partner und Hauptaufnahmeland für Flüchtlinge eine entscheidende Rolle. Zum anderen hoffte der Westen  nicht zu Unrecht, durch die engen Verbindungen der Türkei zu den Terroristen an wichtige Informationen im Kampf gegen die Islamisten gelangen zu können.  Im Fall der palästinensischen Hamas war man ­zudem über einen Kommunikationskanal zu der als Terrororganisation eingestuften Gruppe sicher nicht  unglücklich. Sie spielt eine zentrale Rolle im Friedensprozess mit Israel. Die Proteste fielen deshalb sehr ­moderat aus, als die Hamas vor zwei Jahren sogar ihr Parteibüro aus dem umkämpften Damaskus nach Istanbul verlegte.

Selbstüberschätzung und Machtpolitik

Die gefährliche Nähe Erdogans zu den Terrorgruppen speist sich aus einer ­Mischung aus Selbstüberschätzung und rücksichtsloser Machtpolitik. Glaubte der Präsident wirklich, die Kämpfer des Islamischen Staates (IS) hätten sich in dieser hochexplosiven Situation in der Türkei ewig ruhig verhalten? Der Deal zwischen Erdogan und dem IS war ein offenes Geheimnis: Die Islamisten bekämpfen in Syrien die Kurden und benutzen im Gegenzug die Türkei als Rückzugsraum und Waffenkorridor. Erdogan  hoffte,  unter anderem so die Autonomiebestrebungen der Kurden im eigenen Land unter Kontrolle halten zu können. Ihren zynischen Höhepunkt erreichte diese Taktik, als der IS die kurdisch-syrische Grenzstadt Kobane Ende 2014 einnahm und die türkische Armee untätig dem Abschlachten der Menschen zusah.

Viele Gegner im eigenen Land

Doch Erdogans perfide Rechnung ging nicht auf, und plötzlich hat er es mit zwei Gegnern im eigenen Land zu tun. Inzwischen reißen Terroristen des IS und der Kurden bei Anschlägen immer wieder zahlreiche Menschen in den Tod. Zwar schwört der Staatschef nach jedem Attentat Rache, doch seine Hilflosigkeit  ist augenscheinlich – und könnte zu einem existenziellen Problem für ihn werden. Seine Popularität nährt sich  vor allem aus dem ökonomischen Aufschwung der Türkei in den vergangenen Jahren. Wegen der Terroranschläge und des autoritären Regierungsstils Erdogans meiden aber immer mehr Investoren das Land, und die Wirtschaft gerät ins Trudeln.

Russland soll es richten

Der Staatschef sucht nun nach einem Ausweg. Seine Verzweiflung lässt sich daran ermessen, dass er sich wieder Russland andient, das er die vergangenen Monate bei jeder Gelegenheit verteufelte. Urlaubshungrige Russen sollen die am Boden ­liegende Tourismusindustrie in Schwung bringen. Da ist es zweitrangig, dass der Kreml den syrischen Diktator Baschar ­al-Assad an die Macht zurückbombt, den Erdogan mit der Unterstützung des IS eigentlich vernichten wollte. Der türkische Präsident zeigt sich gewohnt flexibel und rücksichtslos, wenn es darum geht, seine Ziele zu verfolgen. Eine wichtige Lehre hat er aus seinen Misserfolgen wohl  nicht gezogen: Wer mit dem  Teufel tanzt, kann sich  lebensgefährliche Verbrennungen zuziehen.

Keine „polnischen Vernichtungslager“

Das Thema kommt so sicher wie der Sommer. Polens Regierung hat ein neues Gesetz auf den Weg gebracht. Es sieht Haftstrafen von bis zu drei Jahren für Personen vor, die von „polnischen Konzentrationslagern“ sprechen, wenn die Rede von Lagern des NS-Regimes ist, die die Nazis auf dem Gebiet des heutigen Polen betrieben.

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Auschwitz war ein deutsches KZ, kein polnisches Lager! Wer anderes behauptet, soll bald unter Strafe gestellt werden. (Foto: Wikipedia)

Damit die Geschichte nicht vergessen wird

Der Hintergrund der Initiative ist mehr als verständlich. Immer wieder sprechen selbst hochrangige Politiker von „polnischen KZs“. Selbst US-Präsident Barack Obama ist dieser Fauxpas schon unterlaufen.

Die Regierung der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) befürchtet nun, dass mehr als 70 Jahre nach Kriegsende durch einen Ausdruck wie „polnische Konzentrationslager“ in Vergessenheit geraten könnte, wer Treblinka, Auschwitz und andere KZs betrieben hat: die Besatzer aus Nazideutschland – und nicht Polen. Im Zweiten Weltkrieg kamen rund 5,5 Millionen Polen ums Leben, davon rund drei Millionen Juden.

Die Polen sind für das Gesetz

Das Gesetz hat immer wieder Konjunktur und wird seit Jahren diskutiert. Die Chancen, dass das Gesetz dieses Mal im Parlament durchkommt sind hoch. Dort hat die PiS die Mehrheit. Auch viele Polen stehen hinter der Initiative.

Aber es gibt auch Kritik. Vor allem Intellektuelle befürchten, dass die national-konservative Regierung mit dem Gesetz eine Art Ablenkungsmanöver betrieben wird und die Aufarbeitung des Umgangs von Polen mit Juden zu unterdrückt werden solle.

Es regt sich Kritik

Das Land arbeitete zwar nie mit den Nazis zusammen, viele Polen riskierten ihr Leben, um Verfolgte zu retten. Aber es gab in Polens Bevölkerung auch Kollaborateure, die Juden umbrachten oder an die Deutschen verrieten. Das läuft der nationalistischen Deutungsweise der Regierung zuwider. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die heroischen Aspekte der polnischen Geschichte herauszustellen.

Russland schlägt die ausgestreckte Hand weg

Überall auf der Welt lodern die Krisenherde. Bei der Lösung der Probleme spielt Russland eine zentrale Rolle. Doch das Treffen von Frank-Walter Steinmeier und Sergej Lawrow hat gezeigt, dass Russland eine ganz eigene Sicht auf die Dinge hat. In einem Kommentar fasst die Lage Gesine Dornblüth für den Deutschlandfunk sehr gut zusammen. Sie schreibt:

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Die Hand ausgestreckt

„Frank-Walter Steinmeier hat den Russen in Jekaterinburg wieder mal die Hand entgegengestreckt. Es sei nötig, einander zu lesen, Signale des anderen richtig zu verstehen. Verlorenes Vertrauen müsse Anlass sein, mehr miteinander zu reden, nicht weniger. Und die Deutschen müssten sich auch fragen, welche Fehler sie gemacht hätten. Schöne Worte waren das. Kritik brachte Steinmeier sehr schonend vor. Bei seinem letzten Auftritt Ende 2014 hatte er angesichts von Russlands Völkerrechtsbruch in der Ukraine klar gesagt: „So dürfen wir nicht miteinander umgehen“. Heute fragte er vorsichtig: „Bekennen wir uns zu den Regeln einer Friedensordnung, die wir uns selbst gegeben haben? Achten und schützen wir die Souveränität anderer Staaten? Ich möchte diese Fragen mit Ja beantworten“, so der Minister, „und ich wünsche mir, dass Russland sie auch mit Ja beantworten möchte.“

 

So funktioniert Dialog nicht

Behutsamer geht es kaum, und doch: Russland, in Gestalt von Außenminister Sergej Lawrow, schlug die ausgestreckte Hand weg. Auf die Fragen des Gastes reagierte er mit Anschuldigungen, sprach von „hochnäsiger NATO-Zentriertheit“. Die NATO habe sich über die Helsinki-Schlussakte hinweggesetzt. Dann folgte der ganze Rattenschwanz altbekannter Vorwürfe über die Schuld des Westens an der Ukraine-Krise.

So funktioniert Dialog nicht. Auf der russischen Seite existiert derzeit nicht nur kein Fünkchen Bereitschaft zur Selbstkritik. Es gibt nicht mal mehr die Fähigkeit, dem anderen zuzuhören. Dazu gab es heute eine erschreckend anschauliche Szene. Eine Studentin aus Berlin wollte von den Außenministern „als Menschen“ wissen, welche Eindrücke aus dem jeweils anderen Land die beiden in ihrer Laufbahn am spannendsten fanden. Steinmeier antwortete vermutlich ehrlich: Es seien die Begegnungen jenseits der Hauptstadt, die Vielfalt Russlands mit seinen Regionen. Dann war Lawrow dran. Ja, er teile die Ansicht Steinmeiers: Er fahre auch gern in die russischen Regionen. Ist das Unhöflichkeit oder Ignoranz?

Die Krisen sind weder ohne noch mit Russland lösbar

Die Krisen der Welt sind nicht ohne Russland zu lösen. Das ist eine Binsenweisheit. Leider sind sie mit Russland derzeit auch nicht zu lösen. Und das liegt nicht nur an unterschiedlichen Interessen, sondern auch daran, dass man mit der russischen Elite nicht mehr reden kann. Wie man aus dieser diplomatischen Sackgasse wieder herauskommt, steht in den Sternen. Auch weiter die Hand auszustrecken, dürfte zumindest erst mal nicht schaden.“

Hier ist der Link zu dem Beitrag im Deutschlandfunk

 

Die OSZE zur Lage in der Ukraine

Der Konflikt in der Ukraine droht erneut zu eskalieren – nicht nur verbal. Beide Seiten scheinen schwere Kriegsgerät an den Grenzen zusammenzuziehen. Eine reale Gefahr oder nur Drohgebärde. Nun hat sich die OSZE zu der Lage in der Kriegsregion geäußert.

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Die Situation ist festgefahren

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist sehr besorgt angesichts der anhaltenden Verstöße ukrainischer Truppen und prorussischer Separatisten gegen das Waffenstillstandsabkommen in der Ostukraine. „Nach dem über zwei Jahre andauernden Konflikt haben sich die Parteien auf beiden Seiten der Kontaktlinie tief eingegraben, die Situation ist ziemlich festgefahren“, sagte der stellvertretende Leiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine, Alexander Hug, im RBB-Inforadio. „Und hinter diesen Linien haben sich die Seiten natürlich für die weitergehenden Kämpfe eingerichtet. Es besteht steter Nachschub von Munition und auch Truppen, die rotieren. Und das sehen wir auf beiden Seiten gleichzeitig“, fügte Hug hinzu.

Hier geht es zu dem Interview

Unübersichtliche Lage

Häufig sei es kaum möglich, Kampfhandlungen zuzuordnen. Die OSZE-Beobachter würden immer wieder an ihrer Arbeit gehindert. Die Kontrolleure würden dabei auch „unter Waffengewalt zurückgehalten oder eingeschüchtert“. Seit Beginn des Konflikts zwischen prorussischen Rebellen und regierungstreuen ukrainischen Einheiten im April 2014 wurden mehr als 9500 Menschen getötet. Auch wenn bereits mehrfach Waffenruhen vereinbart wurden, dauern die Kämpfe an.

Gespräche über die Lage in der Ukraine

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat sich in Jekaterinburg mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow über den Konflikt in der Ukraine beraten. Angesichts der neuerlichen Spannungen zwischen Russland und der Ukraine um die Krim-Halbinsel hat Lawrow zur Ruhe gemahnt. Es sei „entscheidend, sich nicht von Emotionen hinreißen zu lassen und nicht auf extreme Weise zu handeln“, sagte Lawrow nach einem Treffen. Stattdessen müsse „die Situation mit Zurückhaltung stabilisiert werden“. Gleichzeitig warnte Lawrow, Russland werde jeden Versuch, auf sein Territorium vorzudringen, „im Keim ersticken“. Russland wirft der Ukraine vor, auf der von Russland annektierten ukrainischen Krim Unruhe stiften zu wollen und heimlich bewaffnete Gruppen dorthin entsandt zu haben. Laut dem russischen Geheimdienst FSB wurden bereits mehrere Anschläge auf der Krim vereitelt und „terroristische Saboteure“ festgenommen. Die Ukraine wies die Vorwürfe zurück und versetzte ihre Truppen in Alarmbereitschaft.

Ein gutes Stück Journalismus in der FAZ

Die Lage ist unübersichtlich, da tut es gut, alle Fakten zusammenzutragen. FAZ.NET hat die Protokolle der OSZE-Beobachter im Donbass über 100 Tage ausgewertet. Sie zeigen: Die Waffenruhe in der Ostukraine ist eine Farce. Zu lesen ist ein sehr ernüchterndes Dokument.

 Hier geht es zu der FAZ-Dokumentation

 

Das Gespräch zwischen Steinmeier und Lawrow hatte auch Syrien zum Thema. Der Erfolg des Treffens ist allerdings ziemlich überschaubar.

 

 

 

Putin entlässt Vertrauten Iwanow

Die Meldung ist eine Überraschung. Gut einen Monat vor der russischen Parlamentswahl hat Staatsoberhaupt Wladimir Putin Präsidialamtschef Sergej Iwanow entlassen. Nachfolger werde dessen bisheriger Stellvertreter Anton Vaino, sagte Putin am Freitag in einer im Fernsehen übertragenen Stellungnahme. Iwanow selbst habe um seine Entlassung gebeten und Vaino empfohlen. Die einflussreiche Präsidialverwaltung gilt in Russland als eine Art Nebenregierung.

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So sieht eine Entlassung in Russland aus.

Ein enger Vertrauer Putins

Auf der Internetseite des Kreml ist die Nachricht nur wenige Zeilen wert, über Twitter verbreitet die Regierung ein Bild der drei Männer an einem Tisch. Das soll wohl signalisieren, dass die Entscheidung in gutem Einvernehmen gefallen ist.

Eine Anschlussverwendung ist für Iwanow auch schon gefunden. Er wird sich als „Spezialbeauftragter“ des Kreml um „Fragen des Naturschutzes, der Ökologie und des Transports“ kümmern. Iwanow bekleidete das Amt des Präsidialchefs seit Ende 2011 und galt als engster Vertrauter des Kreml-Chefs. Die beiden kennen sich bereits seit ihren Tagen beim sowjetischen Geheimdienst KGB und später beim russischen Inlandsgeheimdienst FSB.

Rätselraten über die Gründe

Nun wird gerätselt, was hinter dieser Entmachtung steckt, die auch durch die Tatsache nicht kaschiert werden kann, dass Iwanow zunächst seinen Platz in Russlands Sicherheitsrat behält.

Hier ein Video,in dem Iwanow im Jahr 2014 über die Sicherheit bei den Olympischen Spielen in Sotschi spricht:

Es ist das zweite Mal, dass Sergej Iwanow 2007 war er inoffiziell Favorit als Kandidat des Kreml für die Präsidentschaftswahl 2008. Damals durfte Putin nach zwei ersten Amtszeiten laut russischer Verfassung nicht mehr antreten. Das Rennen machte dann aber Dmitrij Medwedew, der bis 2012 als Präsident agierte.

Ein ehrgeiziger Mann

Damals machten Gerüchte in Moskau die Runde, Iwanow habe für Putins Geschmack zu viel Ehrgeiz entwickelt. Der scheidende Kreml-Chef habe befürchtet, Iwanow könnte sich schnell von ihm emanzipieren. Iwanow blieb aber dennoch weiter Mitglied des innersten Machtzirkels um Putin.

Anton Vaino ist kein unbeschriebenes Blatt. Der 44-Jährige hat unter anderem in der russischen Botschaft in Tokio gearbeitet und gehörte zur Asien-Abteilung im Außenministerium. Seit 2002 bekleidete Vaino verschieden Ämter im engen Führungskreis der russischen Regierung.

 

Wird auf der Krim ein Krieg vorbereitet?

Was geht da ab auf der Krim. Vergleiche mit den Vorbereitungen Deutschlands zum Überfall auf Polen machen schon die Runde. Klar scheint im Moment nur, dass es in der Nacht von Samstag auf Sonntag wohl einen Zwischenfall an der Grenze gegeben hat. Russlands Geheimdienst FSB erklärt, er habe ukrainische Anschläge auf der annektierten Halbinsel Krim verhindert. Der ukrainische Präsident sagt, das sei Unsinn und spricht von einer russischen Provokation. Beunruhigend ist allerdings, dass Russland Präsident Putin dem Nachbarland mit Gegenmaßnahmen gedroht hat – also doch die Vorbereitung auf einen Krieg?

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Putin erklärte nach dem Zwischenfall auf der Krim, dass es sinnlos sei, beim kommenden G-20-Gifpel im „Normandie-Format“ über den Konflikt zu sprchen.

Putin meldet sich zu Wort

Die Nachrichten, die über den Ticker von Intefax laufen, sind beunruhigen: „Allem Anschein nach sind die Leute, anstatt nach Wegen einer friedlichen Lösung zu suchen, zur Praxis des Terrors übergegangen“, sagte Putin der Agentur zufolge in Moskau. „Wir können so etwas nicht einfach durchgehen lassen.“ Der Präsident verwies zugleich auf einen kürzlich missglückten Anschlag auf den Separatistenchef von Luhansk, Igor Plotnizki.

Nach dem Vorfall kündigte Putin auch eine zusätzliche Ausweitung der russischen Militärpräsenz auf der Halbinsel Krim an. Die zusätzlichen russischen Sicherheitsmaßnahmen auf der annektierten ukrainischen Halbinsel sollten „zu Lande, im Wasser und in der Luft“ umgesetzt werden, hieß es in einer vom Kreml veröffentlichten Erklärung von Präsident Wladimir Putin nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates. Ziel der „antiterroristischen“ Maßnahmen sei es, „die Sicherheit der Bürger und der wichtigen Infrastruktur“ auf der Krim zu garantieren.

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Poroschenko meldet sich zu Wort

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko bezeichnete die Anschuldigungen des Kremls als haltlos. „Gerade Russland unterstützt und finanziert bereits seit langem großzügig den Terrorismus auf dem Gebiet der Ukraine“, sagte er einer Mitteilung zufolge. Nach diesen Worten versetzte er die Soldaten an der Grenze in Alarmbereitschaft.

Der FSB meldet sich zu Wort

Vorher hatte der russische FSB mitgeteilt, bei drei bewaffneten Zusammenstößen mit eingedrungenen Saboteuren auf der Krim seien ein FSB-Mitarbeiter und ein Soldat getötet worden. Mehrere ukrainische und russische Staatsbürger seien festgenommen worden. Bei ihnen seien Sprengstoff gefunden worden. Ein Verdächtiger arbeite für den ukrainischen Militärgeheimdienst.

Das Verteidigungsministerium in Kiew wies jede Beteiligung an den angeblichen Vorfällen zurück. Moskauer Vorwürfe seien haltlos, dass die Krim vom ukrainischen Festland aus beschossen worden sei. Unabhängige Berichte zu den angeblichen Vorfällen gab es nicht.

Seit über zwei Jahren bekämpfen sich in der Ostukraine Separatisten, die von Moskau mit Waffen und Soldaten unterstützt werden, und ukrainische Regierungstruppen. Bei den Kämpfen sind bereits etwa 10 000 Menschen getötet worden.

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Immer wieder wird im Zusammenhang mit den Vorgängen aus der Krim eine Verbindung zu Gleiwitz gezogen. Was damals passierte, erzählt der SS-Mann Alfred Naujocks.  Dokumentiert ist es im NS-Archiv. Dort findet sich auch die gesamte Aussage:

 

"Ungefähr am l0. August 1939 befahl mir Heydrich, der Chef der
Sipo und des SD, persönlich, einen Anschlag auf die Radiostation
bei Gleiwitz in der Nähe der polnischen Grenze vorzutäuschen und
es so erscheinen zu lassen, als wären Polen die Angreifer
gewesen. Heydrich sagte: "Ein tatsächlicher Beweis für polnische
Übergriffe ist für die Auslandspresse und für die deutsche
Propaganda nötig." Mir wurde befohlen, mit 5 oder 6 anderen SD-
Männern nach Gleiwitz zu fahren, bis ich das Schlüsselwort von
Heydrich erhielt, daß der Anschlag zu unternehmen sei. Mein
Befehl lautete, mich der Radiostation zu bemächtigen und sie so
lange zu halten, als nötig ist, um einem polnisch sprechenden
Deutschen die Möglichkeit zu geben, eine polnische Ansprache über
das Radio zu halten. Dieser polnisch sprechende Deutsche wurde
mir zur Verfügung gestellt. Heydrich sagte, daß es in der Rede
heißen solle, daß die Zeit für eine Auseinandersetzung zwischen
Polen und Deutschen gekommen sei und daß die Polen sich
zusammentun und jeden Deutschen, der ihnen Widerstand leistet,
niederschlagen sollten. Heydrich sagte mir damals auch, daß er
Deutschlands Angriff auf Polen in wenigen Tagen erwartete."

 

Hier ist noch die Aussage der Zeitzeugin Erna Hartkopf:

Bildhauer Neiswestny ist tot

Der bedeutende russische Bildhauer Ernst Neiswestny, Schöpfer zahlreicher Monumentalskulpturen, ist tot. Er starb mit 90 Jahren am Dienstag in New York, wie russische Medien am Mittwoch berichteten. 

Ïðåçèäåíò ÐÔ Âëàäèìèð Ïóòèí âðó÷èë îðäåí Ïî÷åòà èçâåñòíîìó ðóññêîìó ñêóëüïòóðó Ýðíñòó Íåèçâåñòíîìó.

Putin überreicht dem Künstler einen Orden (Foto: Kreml)

Gigantische Skultpuren

Krieg und Leiden, aber auch Lebensfreude – diesen Themen widmete Neiswestny seine großen, oft aus menschlichen Gesichtern gebildeten Skulpturen. Seit 1996 erinnert eine 15 Meter hohe „Maske der Trauer“ in der Häftlingsstadt Magadan an die Opfer sowjetischer Repression. Andere Werke stehen im ehemaligen deutschen Konzentrationslager Auschwitz, bei den Vereinten Nationen in Genf oder im Vatikan. Neiswestny habe in seinen Werken „der Kraft und Unzerstörbarkeit des menschlichen Geistes Ausdruck verliehen“, sagte Kulturminister Wladimir Medinski nach Angaben der Agentur Tass als Reaktion auf den Tod des Künstlers.

Kein Freund Chrustschows

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Maske der Trauer

Der unangepasste Avantgardekünstler wurde 1926 in Swerdlowsk (heute wieder Jekaterinburg) geboren. 1962 lieferte er sich mutig einen Streit mit dem damaligen sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow. Der Bildhauer forderte Freiheit von der herrschenden Kunstrichtung des Sozialistischen Realismus. Chruschtschow nannte Nieswestnys Skulpturen Schund. „Warum verzerrst Du die Gesichter der sowjetischen Menschen“, fragte er.

Trotzdem wünschte sich Chruschtschow später ein Grabmal aus der Hand Neiswestnys. Der Künstler schuf eine eindrucksvolle Büste, umrahmt von weißem und schwarzem Marmor – Symbol der guten und schlechten Seiten des Sowjetpolitikers. Aus der Sowjetunion emigrierte Neiswestny 1976 zunächst in die Schweiz und später in die USA. Die letzten Jahrzehnte lebte und arbeitete er vor allem in New York.

Hier geht es zu einem ausführlichen Lebenslauf, veröffentlicht anlässlich seines 90. Geburtstages

Und wer noch einige Meisterwerke des Künstlers ansehen möchte. Die Agentur TASS hat einige Bilder zusammengestellt : Скульптуры мастера: лучшие работы Эрнста Неизвестного