Der arabische Frühling

In Tunesien herrschte Feststimmung. Zehntausende haben am 14. Januar 2015 in Tunis den fünften Jahrestag der tunesischen Revolution gefeiert. Auch auf der Straße: tausende schwerbewaffnete Polizisten. Sie sicherten entlang der Bourguiba-Avenue den Zug der Menschen aus Angst vor Anschlägen ab. Die Straße war Anfang 2011 zu großer Berühmtheit gelangt, sie war der wichtigste Schauplatz für die Proteste gegen den damaligen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali. Der langjährige Machthaber trat am 14. Januar 2011 zurück und floh nach Saudi-Arabien. Bei den wochenlangen Protesten gegen Ben Ali wurden waren vor fünf Jahren mehr als 300 Menschen getötet und hunderte weitere verletzt worden.

 

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Ein Mann in Tunis will ein neues System

In Tunesien herrscht der Ausnahmezustand

Doch die Feststimmung trügt: in Tunesien herrscht der Ausnahmezustand. Er war Ende November verhängt worden, nachdem bei einem Anschlag in der Hauptstadt Tunis zwölf Mitglieder der Präsidentengarde getötet wurden. Zu dem Anschlag bekannte sich der Islamische Staat (IS). Bereits im Sommer vergangenen Jahres war in Tunesien vorübergehend der Ausnahmezustand ausgerufen worden, nachdem ein Terroristen an einem Hotelstrand nahe der Stadt Sousse 38 Menschen erschossen hatte.

So kommentiert die Tageszeitung „Le Figaro“ – auch unter dem Eindruck der Anschläge in Paris im Jahr 2015:

 

„Nach dem revolutionären Arabischen Frühling (vor fünf Jahren) ist der islamistiche Winter hereingebrochen. Niemand ist vor Terroranschlägen geschützt. Die Dschihadisten sind für uns eine ideologische und militärische Herausforderung, der wir hilflos gegenüberstehen. Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. In der gesamten arabischen Welt brodeln Frustration und Wut: Dort, wo Krieg herrscht, dort, wo sich die Stürme beruhigt haben, und dort, wo sie vermieden wurden. Wir westlichen Länder können die Geschichte nicht lenken, doch wir können die Lehre daraus ziehen, bewaffnet zu bleiben, um Hass und Gewalt entgegenzutreten.“

 

Doch auch in den arabischen Ländern selbst ist die Euphorie über die neu gewonnene Freiheit der Ernüchterung gewichen. In manchen Ländern gab es nur zaghafte Proteste und kosmetische Korrekturen in Sachen Demokratie. Andere sind nach dem Umsturz in Anarchie und Bürgerkrieg versunken. Diese Grafik zeigt den Ablauf der Ereignisse im Jahr 2011.

 

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Hier ein Überblick über den Stand der Dinge in den Staaten. Wer es genau wissen will, der findet auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung ausführliche Berichte:  Das ist der Link zur bpb

TUNESIEN

Aus Verzweiflung über Behördenwillkür verbrannte sich im Dezember 2010 ein Arbeitsloser. Danach forderten Tausende Reformen – die „Jasmin-Revolution“ brach aus. Im Januar 2011 floh Präsident Zine el Abidine Ben Ali ins saudische Exil. Die Wirtschaft geriet in eine Dauerkrise, Extremisten bekamen Zulauf und verübten Anschläge. Trotzdem gelang Tunesien der Übergang in die Demokratie. 2014 wurde eine Verfassung verabschiedet, danach wählten die Tunesier ein Parlament und einen Präsidenten.

 

MAROKKO

Das politisch relativ stabile Königreich hat ein freigewähltes Parlament und ein Mehrparteiensystem. Anfang 2011 forderten Demonstranten mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit. König Mohammed VI. beruhigte die Massen mit einer Verfassungsreform, Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und vorgezogenen Neuwahlen.

 

LIBYEN

Seit dem Sturz von Muammar al-Gaddafi im Sommer 2011 ging das ölreiche Land zunächst Schritte in Richtung Demokratie. Doch heute herrscht Chaos, der Staat ist praktisch zerfallen. Es gibt zwei Parlamente und zwei Regierungen. Islamistische Milizen und nationalistische Kräfte bekämpfen sich, die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat Gebiete erobert. Eine nach UN-Vermittlung angestrebte Einheitsregierung ist bisher nicht zusammengetreten.

 

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ÄGYPTEN

Massenproteste brachten im Februar 2011 den Sturz des Langzeitherrschers Husni Mubarak. Danach gewannen die Muslimbrüder die Wahlen. Doch gegen den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi formierte sich Widerstand. 2013 setzte ihn das Militär 2013 ab. Seit Ex-General Abdel Fattah al-Sisi Präsident ist, fährt das Land einen harten Kurs gegen Islamisten. Tausende wurden verhaftet, Hunderte zum Tode verurteilt. Dschihadisten verüben immer wieder Anschläge. Erst kürzlich wurde ein Parlament gewählt; es spielt bisher keine Rolle.

 

SYRIEN

Präsident Baschar al-Assad ging 2011 mit Gewalt gegen Proteste vor. Daraus entwickelte sich ein Bürgerkrieg, bei dem bisher mehr als 250 000 Menschen getötet wurden. Rund zwölf Millionen Syrer sind auf der Flucht. Assad verlor die Herrschaft über große Teile Syriens an Rebellen und Dschihadisten wie den Islamischen Staat. Friedensgespräche scheiterten, ein Kriegsende ist nicht abzusehen.

 

 

JORDANIEN

Nachdem Tausende auf die Straße gegangen waren, bekam das gewählte Parlament seit Februar 2011 schrittweise mehr Einfluss und hat nun ein größeres Mitspracherecht. König Abdullah II. behält jedoch das letzte Wort. Das Land hat viele Flüchtlinge aufgenommen und dient als Basis für Luftangriffe im Syrienkrieg.

 

KUWAIT

Nach Protesten von Staatenlosen, die einen großen Teil der Bevölkerung ausmachen, und einer monatelangen Regierungskrise trat die Regierung im November 2011 zurück; später wurde das Parlament aufgelöst. Vor der Neuwahl 2012 kam es zu Zusammenstößen. Die Lage beruhigte sich durch soziale und wirtschaftliche Zugeständnisse der Herrscherfamilie Al-Sabah.

 

SAUDI-ARABIEN

Im Frühjahr 2011 gab es in schiitischen Orten der ölreichen Ostprovinz Proteste, die mit Gewalt von der Polizei beendet wurden. Demonstrationen sind in dem vom sunnitischen Haus al-Saud beherrschten Königreich verboten. 2014 wurde der schiitischen Geistliche Nimr al-Nimr, zentrale Figur der Proteste von 2011, zum Tode verurteilt und am 2. Januar 2016 zusammen mit 46 weiteren Menschen hingerichtet.

 

BAHRAIN

In dem Golfstaat unterdrückt ein sunnitisches Herrscherhaus die schiitische Mehrheit. Im März 2011 beendete Militär gewaltsam den Dauerprotest der Reformbewegung. Saudi-Arabien schickte Panzer zur Unterstützung von König Hamad bin Issa al-Chalifa.

 

JEMEN

2011 brachen Proteste aus, die zum Sturz von Langzeitpräsident Ali Abdullah Salih führten. Seitdem ist der Jemen nicht zur Ruhe gekommen. Bis heute kämpfen schiitische Huthi-Rebellen in einem Bürgkrieg gegen Truppen einer sunnitische Regierung, die von einer von Saudi-Arabien geführten Sunnitenkoalition unterstützt wird.

 

Und zum Ende erklärt Noam Chomsky die Frage: Did the Arab Spring fail?