Der Selfie Stick

Jeder kennt ihn – und jeder macht sich über ihn lustig: den Selfie Stick. Im Sommer 2014 machte er in den sozialen Netzwerken eine steile Karriere. Immer mehr Menschen posteten Bilder von sich vor atemberaubenden Kulissen. Doch wie war das möglich? Eben: mit dem Selfie Stick.

15.04-athen28-selfiDer Klassiker!

Inzwischen gehört das Gerät bei vielen Touristen zum unerlässlichen Reiseutensil – und birgt eine Gefahr. Ein neuer Narzissmus macht sich breit.

Erfunden wurde der Selfie Stick in den 80er Jahren des vergangenen Jahrtausends. Der Mann heißt Hiroshi Ueda und arbeitete für die Firma Minolta. Das hat der britische Sender BBC herausgefunden und ein Interview mit dem Erfinder Ueda gemacht. Hier der Link zu dem Text der BBC

15.04-athen18-selfie Ein Selfie mit dem Selfie Stick, beide Fotos sind aufgenommen in Athen.

Der begeisterte Fotograf und Ingenieur kam auf die Idee einen Kamera-Stab für Selbstportraits zu konstruieren, als er auf einer Europareise war. Dort liefen ihm so viele Passanten durchs Bild, dass er sich dazu entschloss eine einfachere Lösung zu erfinden. Stativ und Selbstauslöser waren zu kompliziert. Die Idee des Selfie Sticks war geboren. 1983 reichte Ueda ein Patent bei der US-Patent-Behörde ein, das 1985 in dem Dokument „Telescopic extender für supporting compact cameras“ veröffentlicht wurde.

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So ein Selfie Stick ist im Grunde eine gute Sache. Die Touristen brauchen etwa nicht mehr andere Leute zu belästigen, wenn sie ein Foto von sich vor einem berühmten Ort aufnehmen wollen.

15.04-athen22-selfie Und noch einer. Diese beiden jungen Frauen fotografieren sich auf der Akropolis in Athen.

Aber der Selfie Stick verändert in manchen Fällen auch den Charakter einer ganzen Reise. Der Sinn eines Fotos, bisweilen der ganzen Unternehmung, besteht nicht mehr darin, unglaubliche Landschaften zu erfahren und für andere durch ein Bild erfahrbar zu machen. Der Reisende schreit mit dem Selfie Stick in die Welt: ICH! WAR! DA! Der Kopf verdeckt das eigentlich Wichtige und schiebt etwas weniger Wichtiges – das Ich – in den Vordergrund.

15.04-athen34-selfie Die Akropolis ist das Paradies der Selfie Sticker. Auch dieses Foto stammt von dort.

Reisen heißt vor allem Erfahrungen zu machen, diese Erfahrungen zu dokumentieren steht erst an zweiter Stelle. Ein Stempel im Pass ersetzt nicht die Erfahrungen, die ein Mensch auf einer Reise macht – genauso wenig tut dies ein Bild, das dokumentiert, dass ICH, ja ICH(!), tatsächlich vor Ort war.

An diesen Orten sind Selfie Sticks bereits verboten.

Alexander Becker hat in „curved“ zusammengestellt, wo die Selfie Sticks bereits verboten sind. Hier ist der Link zum Artikel.

  • Wimbledon: No selfie stick, please
    Der altehrwürdige All England Lawn Tennis Club will keine Handy-Stangen mehr auf dem Vereinsgelände zulassen. „Wie bei anderen sportlichen Großveranstaltungen und kulturellen Attraktionen wird auch Wimbledon keine Selfie-Sticks erlauben“, heißt es in den Richtlinien für Besitzer von Eintrittskarten für das Turnier vom 29. Juni bis zum 12. Juli.
  • Europaparkt in Rust
    Deutschlands größter Freizeitpark, der Europa-Park in Rust bei Freiburg, verbietet Selfie-Sticks auf seinen Fahrgeschäften. Die langen Stangen, die als Armverlängerungen für Handy-Fotos und Videos dienen, seien ein Sicherheitsrisiko, sagte Parksprecher Jakob Wahl. Bei Achterbahnfahrten oder anderen Attraktionen könnten sie aus der Hand rutschen und Menschen verletzen. Zudem ragten sie weit über die Sitzplätze der Passagiere hinaus, dadurch könne es zu Unfällen kommen.
  • Englische Fußballstadien: Stiele zu Waffen
    Nicht nur beim ehrwürdigsten Tennisturnier der Welt sind die Arm-Verlängerungen in England untersagt. Auch in den Stadien der Insel gilt ein klares Verbot. Dabei gehören die legendären Fußball-Tempel sicherlich zu den Orten, an denen es die Besucher besonders im Finger juckt, ein anständiges Beweisfoto zu schießen, dass man auch wirklich in der Anfield Road in Liverpool oder in Old Trafford in Manchester war. Hintergrund für den Bann: Die Verantwortlichen machen sich sorgen, dass sich die Stiele auch vortrefflich als Waffe gebrauchen lassen.
  • Musik-Festivals: Angst vor Prügeleien
    Ob beim Neo-Hippie-Festival Coachella in Kalifornien oder bei den deutschen Open-Airs: Immer mehr Festivals sagen „Nein“ zu Selfie-Sticks. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Wie in den englischen Stadien machen sich auch die Musik-Veranstalter sorgen, dass sich die Stangen als Prügelwerkzeug missbrauchen lassen.
  • Versailles: Adieu, Selfie-Stick
    Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade im Schloss des französischen Sonnenkönigs Ludwigs XIV. bereits im vergangenen Sommer die Stangen verboten wurden. Denn würde der eitle Monarch heute leben, wäre es sicherlich ein begeisteter Träger dieses zeitgenössischen Stocks.
  • Louvre: Keine spitzen Gegenstände
    Nicht nur vor den Toren von Paris, in Versailles, sind Selfie-Sticks mittlerweile auf der schwarzen Liste. Auch in der französischen Metropole gibt es längst entsprechende Verbote. So verbannte bereits der Louvre die Alustangen aus der Angst, dass die Kunstwerke beschädigt werden könnten.
  • US-Museen: Schutz der Gemälde
    Das französische Museum folgt dabei allerdings nur dem Vorbild vieler US-Ausstellungen. So verlangen in Amerika schon fast alle bekannten Museen, vom MoMa in New York über die Washingtons National Gallery bis zu Kunst-Sammlungen in Los Angeles, einen kompletten Verzicht auf die Smartphone-Verlängerungen.
  • Berliner Museen: Genauso verboten wie Regenschirme
    Noch strenger sind die staatlichen Museen in Berlin. Beim Besuch von Nofretete & Co. sind nicht nur die Selfie-Sticks verboten, sondern grundsätzlich „sperrige und scharfkantige Gegenstände“. Das betrifft beispielsweise auch Regenschirme.
  • Mekka: Verstoß gegen Regeln des Koran
    Eine knifflige Koran-Auslegung liegt dem Verbot der Mobiltelefon-Teleskop in Mekka zugrunde. So sollen Selfies gegen die strengen Bilder-Regeln des islamischen Glaubens verstoßen.
  • Stierlauf von Pamplona: Keine Zeit für Selfies
    Alleine die Vorstellung klingt irgendwie absurd: Während man von Stieren verfolgt wird und in einer dichten Menschenmenge vor den aggressiven Tieren flüchtet, bleibt einfach keine Zeit, ein anständiges Porträt zu schießen. Von der Gefahr, andere zu verletzten, einmal abgesehen.
  • Südkorea: zu teure Lizenzen
    Die Gründe für das Verbot der Sticks in Südkorea sind etwas komplexer. Da sie via Bluetooth funktionieren, brauchen sie eine spezielle Zertifizierung. Die ist teuer, und so scheuen die meisten Produzenten diese Ausgaben. Die Folge: Auch wenn die Gadgets in Seoul und Umgebung nicht illegal sind, gibt es kaum Modelle, die gesetzeskonform wären.

15.04-athen30-selfie Unnötig zu erwähnen – das ist die Akropolis.

Beim Radrennen von Paris nach Roubaix sind die Selfie Sticks noch nicht verboten. Allerdings gibt es dort auch genügend Platz, um sie zum Einsatz zu bringen. Die meisten Fotografen sind dort allerdings eher hochgerüstet. Zudem sind genügend Leute an der Strecke, mit denen man schnell ins Gespräch kommt und die dann auch schnell bereit sind, auf den Auslöser zu drücken.

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Der Selfie-Arm – wozu noch Freunde?

Fotografieren mit dem Selfie Stick ist oft eine sehr einsame Angelegenheit. Wer weniger traurige Bilder machen will, dem sei der Selfie-Arm empfohlen. Bilder sehen damit aus, als sei man nicht allein auf Reisen gewesen. Wozu braucht man dann noch Freunde?

Hier ist der Link zu einem Text über den Selfie-Arm im „Spiegel“. Wir gehen davon aus, dass diese Erfindung sehr schnell das Schicksal der Dinosaurer ereilen wird – die sind ausgestorben.

Und hier noch einige Einsatzgebiete des Selfie Sticks – alle aus Paris:

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Eine Touristin vor dem Invalidendom

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Auf dem Marsfeld, den Einfelturm im Visier

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Und noch einmal das Marsfeld

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Auf einem Rummel neben den Tulierien

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Mit Blick über die Stadt, auf dem Montmartre

 

Und hier noch ein Beitrag zur Politik in Zeiten der Selfie-Generation.

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Hier geht es zum entsprechenden Text im „Telegraph“

6 Kommentare zu “Der Selfie Stick

  1. Das Schicksal der Dinosaurier? Das glaube ich nicht, der Selfie Stick ist ein Kultprodukt das in die neue Generation der Smartphones einfach passt und rein gehört.

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  2. Ich schließe mich Pasqual an – ich glaube nicht, dass der Selfiestick aussterben wird. Bin viel auf Reisen und ich sehe ihn immer noch an extrem vielen Orten.

    Und jedes Mal muss ich natürlich darüber lachen. Auch über mich selbst .Aber das gehört dazu!

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  3. Sehe ich ähnlich. Es ist bereits einige Jahre her seit dem „Selfie Stick Hype“ und man sieht ihn immer noch sehr häufig bei Touristen und den jüngeren Generationen.

    Ich selbst nutze ich auch gelegentlich und finde ihn vor allem dann praktisch wenn ich mit Freunden unterwegs bin und Gruppen-Selfies / -aufnahmen machen möchte, da man so relativ einfach alle mit aufs Bild kriegt. Sieht zwar wirklich etwas doof aus aber was soll’s – ist dennoch ein nützliches Gadget…

    Und das mit den Verboten kann ich gut nachvollziehen. In einem Museum oder auf einem Konzert möchte ich auch etwas sehen können und nicht die ganze Zeit irgendwelche Selfie Sticks ins Gesicht gedrückt bekommen. Ist aber eigentlich traurig das man dafür Verbote aussprechen muss. Ein wenig gesunder Menschenverstand und Rücksicht auf seine Mitmenschen sollte dafür doch eigentlich ausreichen…

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  4. Ein Selfie-Stick ist gar nicht so veraltet, wenn man ihn nicht im „Hype-Kontext“ sieht. Im Gegenteil ist er ein sehr nützliches Tool. Übrigens nicht nur für Selfies, aber auf Geburtstagen & anderen Events bekommt man so sehr schicke Top-Down Fotos.

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