Der Weltjugendtag – das Mega-Event

Der Weltjugendtag ist ein Mega-Event. Rund einen Million junge Menschen sind nach Krakau gekommen, um sich, ihren Glauben und natürlich den Papst zu feiern. 

Eine Fotoreportage:

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Die Stimmung in der Stadt ist unglaublich. Junge Menschen aus der ganzen Welt drängen sich in einem nicht enden wollenden Strom durch die Altstadt. Es wird gesungen, getanzt und vor allem werden viele Fotos gemacht. Viele sind schon vor dem Weltjugendtag nach Polen gekommen. Sie haben in Gastfamilien gewohnt, um das Leben im Land kennen zu lernen.

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Jugendliche – und auch schon etwas ältere Pilger – aus über 180 Ländern sind nach Polen gekommen. Sie alle genießen die großartige Stimmung. Die Geschichte der Weltjugendtage begann allerdings nicht ohne Probleme. Bischöfe sahen ihre Jugendarbeit in Gefahr, Umweltschützer die Ökosysteme, ein kommunistischer Bürgermeister verbot das Zelten im Park, und eine italienische Tageszeitung titelte: „Die Hunnen kommen“. Doch durchgesetzt hat sich am Ende der Mann, der auf die Jugend vertraute wie keiner seiner Vorgänger: Papst Johannes Paul II. (1978-2005).

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„Öffnet dem Erlöser die Türen“, lautete das Motto des ersten internationalen Jugendtreffens, zu dem Johannes Paul II. für Palmsonntag 1984 nach Rom eingeladen hatte. Was anfangs keineswegs nur auf offene Türen stieß, wurde ein Jahr später als Weltjugendtag (WJT) zur festen Institution – und ist mittlerweile aus dem katholischen Leben nicht mehr wegzudenken.

Dass die Kirche der Jugend viel zu sagen habe, davon waren zwar auch die Vorgänger von Johannes Paul II. überzeugt. Dass dies jedoch auch umgekehrt gilt, hatte niemand von ihnen so ernst genommen wie der Papst aus Polen: Der gegenseitige Dialog müsse „offenherzig, klar und mutig sein“, forderte er.

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Beim Weltjugendtag in Krakau verschwenden die Teilnehmer keine Gedanken daran, dass in den letzten Wochen eine Welle des Terrors Europa heimgesucht hat. Die jungen Menschen setzen den Mördern ihren Glauben an eine bessere Welt entgegen.

Weltjugendtage sind mittlerweile nicht nur die größte kirchliche Veranstaltung überhaupt. Sie ziehen auch mehr Leute an als die Love-Parade, Madonna-Konzerte oder Großdemonstrationen. Etliche hunderttausend Jugendliche nehmen an den Gottesdiensten, Gebeten und geistlichen Gesprächen teil. Zu den Abschlussmessen mit dem Papst kamen oft mehr als eine Million.

Den bisherigen Rekord hält der WJT in Manila, wo 1995 vier Millionen Menschen zusammenkamen. Zum Abschlussgottesdienst des WJT in Köln 2005 kamen 1,1 Millionen Menschen zusammen. In Krakau erwarten die Veranstalter zur Abschlussmesse mit Papst Franziskus Ende Juli bis zu zwei Millionen Teilnehmer.

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Viele der jungen Pilger sind schon mehrere Tage in Polen. Sie haben dort das Leben in Gastfamilien kennen gelernt. Nun, in Krakau, geht es vor allem darum, den Glauben mit anderen Jugendlichen während dieses Events zu teilen.

1984 folgten 300.000 Jugendliche dem Ruf von Johannes Paul II. nach Rom. Dieser war von der Veranstaltung so angetan, dass er für das kommende Jahr gleich wieder zu einem Jugendtreffen in die italienische Hauptstadt einlud. Mit der Organisation betraute er den päpstlichen Laienrat, der seine ganze übrige Arbeit für ein halbes Jahr beiseitelegen musste.

Und nachdem auch die zweite Auflage mit 250.000 Teilnehmern ein großer Erfolg wurde, kündigte Johannes Paul II. zu Ostern 1985 kurzerhand – ohne Rücksprache mit seinem Verwaltungsapparat – an, dass künftig jedes Jahr ein Weltjugendtag stattfinden solle. Er legte einen Wechsel von dezentral in den Ortskirchen begangenen und international ausgerichteten Weltjugendtagen in einer Stadt fest.

Die zentralen Weltjugendtage fanden seither alle zwei bis drei Jahre statt. Dass solche Veranstaltungen keineswegs Selbstläufer sind, hatte Paul VI. (1963-1978) erleben müssen, der zum Heiligen Jahr 1975 ebenfalls zu einem Weltjugendtreffen eingeladen hatte – allerdings mit nur sehr mäßigem Erfolg.

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Die Jugendlichen machen Krakau zu einer riesigen Fan-Meile für den Papst. Jeder will Franziskus sehen. Entsprechend ist der Andrang bei seinem ersten offiziellen Auftritt.

Weltjugendtage ziehen Gäste aus allen Kontinenten an, wenngleich Teilnehmer aus ärmeren Ländern trotz finanzieller Zuschüsse naturgemäß stets weniger vertreten sind. In Toronto und Sydney erschwerten zudem strenge Visa-Vorschriften die Anreise. Von ihren Austragungsorten her waren die Jugendtreffen bislang jedoch vor allem eine Veranstaltung der westlichen Welt.

Der erste zentrale WJT außerhalb Roms wurde 1987 in der Heimatstadt von Papst Franziskus, in Buenos Aires, veranstaltet. Von den folgenden Großtreffen führte nur noch jener in Manila 1995 in ein Land, in dem es größere Armut gibt. Alle übrigen wurden in Ländern Europas oder der westlichen Welt veranstaltet: 1991 im postkommunistischen Tschenstochau/Polen, 1993 in Denver, 1997 in Paris, 2000 in Rom, 2002 in Toronto, 2005 in Köln, 2008 in Sydney und 2011 in Madrid.

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Fast einen Million Menschen versammeln sich vor dem Altar auf einer Wiese in der Nähe des Stadions von Krakau, um am ersten Tag den Papst zu begrüßen.

Franziskus hat ein gut gefülltes Besuchsprogramm: So trifft er sich nach seiner Ankunft mit Staatspräsident Andrzej Duda im Krakauer Königsschloss Wawel sowie mit den polnischen Bischöfen in der Kathedrale zusammenkommen. Am Folgetag ist ein Besuch des Marienheiligtums in Tschenstochau geplant, im wichtigsten polnischen Wallfahrtsort.
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Die Gedenkstätte Auschwitz besuchte Franziskus am 29. Juli. Bis zur Abschlussmesse am 31. Juli auf dem „Campus Misericordiae“ (Feld der Barmherzigkeit) in Brzegi bei Krakau betet er unter anderem mit Jugendlichen in Krakau den Kreuzweg und hält – ebenfalls in Brzegi – eine Vigil.

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Wie bei allen Veranstaltungen ist auch hier die Stimmung ausgelassen. „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden“ – so lautet das Motto des Weltjugendtages, den etwa 25.000 freiwillige Helfer aus zahlreichen Ländern unterstützen wollen. Das passt zum Heiligen Jahr mit dem Schwerpunkt Barmherzigkeit und zu einem prominenten Vorgänger von Franziskus: Auch der vor elf Jahren gestorbene und in seinem Heimatland tief verehrte Johannes Paul II. (1978-2005) hatte sich dem Thema verschrieben.

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Und dann ist dem Papst noch ein kleines Missgeschick passiert: bei einem großen Freiluft-Gottesdienst ist er gestürzt. Zehntausende Gläubige sahen, wie der 79-Jährige auf dem Podest am Altar im Kloster Jasna Góra im Wallfahrtsort Tschenstochau stolperte. Er fiel hin, als er ein Weihrauchfass in der Hand hielt und auf ein Gnadenbild der „Schwarzen Madonna“ zulief, das auf dem Podium aufgestellt war. Wenig später hielt er augenscheinlich unverletzt seine Predigt. Nach Angaben des Vatikan geht es Franziskus gut.
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Umfrage: Besorgnis um Zuwanderung erreicht Höchststand

Das Thema Zuwanderung bewegt die Deutschen wie kein anderes: Etwa vier von fünf Bundesbürgern (83 Prozent) halten Zuwanderung und Integration für eine der am dringendsten zu lösenden Aufgaben im Land. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich diese Besorgnis mehr als verdoppelt. Dafür sinkt die Sorge um Arbeitslosigkeit in Deutschland weiterhin. Dies zeigt die Studie „Challenges of Nations 2016“ des GfK Vereins. Befragt wurden mehr als 27.600 Menschen in 24 Ländern. Über alle Nationen hinweg betrachtet dominieren Inflation und Arbeitslosigkeit das Sorgenranking.

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Ein differenzierter Blick auf das Problem

Die Sorge um Zuwanderung dominiert in diesem Jahr das deutsche Sorgenranking. 83 Prozent aller Umfrageteilnehmer sehen Zuwanderung/Integration als eine der am dringendsten zu lösenden Aufgaben in Deutschland. Damit erreicht die Besorgnis zu diesem Thema einen neuen Rekordwert. Allein im Vergleich zum vergangenen Jahr hat sich die Nennung mehr als verdoppelt (2015: 35 Prozent). Die Besorgnis übertrifft außerdem den bisherigen Höchstwert von 1992 um 15 Prozentpunkte. Der Blick auf die Problemlage ist heute allerdings differenzierter als vor 25 Jahren. „Zwar ist die Zahl der Integrationsbefürworter gestiegen. Aber: Die Ablehner einer weiteren Zuwanderung haben noch viel mehr zugenommen“, kommentiert Raimund Wildner, Geschäftsführer des GfK Vereins, die Ergebnisse. „Jeder Siebte, der dieses Problem nennt, möchte es im Sinne einer positiven Integration lösen und jeder Fünfte spricht sich gegen jede weitere Zuwanderung aus. Das heißt, dass rund zwei Drittel der Deutschen einfach das Problem gelöst haben wollen, auf die eine oder andere Weise.“

Arbeitslosigkeit bereitet weniger Kopfzerbrechen

Die Omnipräsenz der Zuwanderungsdebatte hat offenbar andere Besorgnisse in den Hintergrund treten lassen: Auf dem zweiten Platz im Ranking der wichtigsten Herausforderungen steht – mit großem Abstand – die Arbeitslosigkeit. Darin sehen 13 Prozent der Befragten die größte Herausforderung der Deutschen. Das sind 9 Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. „Seit die Umfrage 1992 erstmals in Gesamtdeutschland durchgeführt wurde, ist dies der bei weitem niedrigste gemessene Wert. Noch vor zehn Jahren lag dieser Wert bei 80 Prozent“, sagt Wildner. Dies korrespondiert mit der gleichfalls historisch niedrigen Arbeitslosenquote, die laut OECD aktuell bei 4,3 Prozent liegt.

Deutsche wenig besorgt über wirtschaftliche Schwankungen

Das führt auch dazu, dass über die Herausforderungen auf den Plätzen drei bis fünf – Armut, Kriminalität und die Lage in Politik und Regierung – jeweils nur noch rund 10 Prozent der Befragten beunruhigt sind: Die Sorge um Armut sinkt, erstmals seit 2010 wieder, und zwar um 5 Prozentpunkte. Deutlich weniger Handlungsbedarf als im Vorjahr sehen die Deutschen auch bei wirtschaftlichen Themen: So ging die Besorgnis über die Preis- und Kaufkraftentwicklung von 16 auf 8 Prozent zurück. Dies liegt wohl an der niedrigen Teuerungsrate, die laut OECD – vor allem aufgrund der sinkenden Energiepreise – im Jahr 2015 bei 0,2 Prozent lag. Auch die wirtschaftliche Stabilität bereitet den Deutschen weniger Kopfzerbrechen. Belegte das Thema im vergangenen Jahr mit 15 Prozent noch den fünften Platz im Ranking, liegt es in diesem Jahr mit 6 Prozent auf Platz elf.

International dominieren ökonomische Sorgen

Die Deutschen sind nicht allein mit ihrer Sorge über Zuwanderung. Diese ist zwar auch in anderen europäischen Ländern Herausforderung Nummer eins: Österreich (66 Prozent), Schweden, Schweiz (jeweils 50 Prozent), Belgien (43 Prozent), Niederlande (40 Prozent) und Großbritannien (33 Prozent). In Spanien (65 Prozent), Frankreich (64 Prozent), Italien (48 Prozent) und Polen (34 Prozent) allerdings führt Arbeitslosigkeit das Ranking an. Über alle befragten Nationen betrachtet sind Preis-/ Kaufkraftentwicklung und Arbeitslosigkeit mit jeweils 24 Prozent die am häufigsten genannten Herausforderungen. Kriminalität (18 Prozent) und Korruption (15 Prozent) stehen bei der internationalen Betrachtung ebenfalls ganz oben.

Info zur Studie

Diese Ergebnisse sind ein Auszug aus der repräsentativen Studie „Challenges of Nations 2016“ und basieren auf 27.675 Interviews, die im Auftrag des GfK Vereins im Frühjahr 2016 in 24 Ländern durchgeführt wurden: Belgien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Iran, Italien, Japan, Niederlande, Nigeria, Österreich, Polen, Russland, Schweiz, Schweden, Spanien, Südafrika, Südkorea, Türkei, die USA sowie erstmals in diesem Jahr auch Mexiko und die Philippinen. Grundlage der Untersuchung ist folgende offene Frage, die jedes Jahr unverändert gestellt wird: „Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Aufgaben, die heute in [jeweiliges Land] zu lösen sind?“ Die Befragten erhalten keinerlei beschränkende Vorgaben für ihre Antwortmöglichkeiten, Mehrfachnennungen sind möglich.

 

Info zum GfK Verein

Der GfK Verein ist eine 1934 gegründete Non-Profit-Organisation zur Förderung der Marktforschung. Er setzt sich aus rund 600 Unternehmen und Einzelpersonen zusammen. Zweck des Vereins ist es, innovative Forschungsmethoden in enger Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen zu entwickeln, die Aus- und Weiterbildung von Marktforschern zu fördern und die für den privaten Konsum grundlegenden Strukturen und Entwicklungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu verfolgen sowie deren Auswirkungen auf die Verbraucher zu erforschen. Die Studienergebnisse werden den Mitgliedern des Vereins kostenlos zur Verfügung gestellt. Der GfK Verein ist Gesellschafter der GfK SE. Weitere Informationen unter www.gfk-verein.org.

Die AfD darf eine zweite Fraktion bilden

Mit dieser Entscheidung hatten nur wenige gerechnet: Der Bildung einer zweiten AfD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg steht nichts im Weg. Das besagt ein Gutachten, das im Auftrag des Landtages in Auftrag gegeben worden ist. Damit hat die Abspaltung der 14 Abgeordneten um den ehemaligen AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen ein eigenes Existenzrecht. 

16.06.07-Meuthen

Diese Runde im Streit um die AfD geht an Jörg Meuthen

Der Status der neuen AfD ist nun geklärt

In dem Gutachten heißt es unter anderem, der Landtag könne zwar eine Regelung erlassen, die die Gründung einer Parallel-Fraktion untersage. Eine derartige Änderung könne aber einer bereits existierenden Fraktion den Status nicht entziehen.  Auch aus der Landesverfassung und den Regelungen für die Fraktionen und den Landtag lasse sich nicht ableiten, dass Abgeordnete keine Fraktion bilden dürften, nur weil Kollegen derselben Partei schon eine Fraktion gebildet hätten. Das letzte Wort über die von Meuthen neu gegründete „Alternative für Baden-Württemberg“ hat nun  das Präsidium des Landtags, das am Dienstagabend tagt. Die Reaktionen der Parteien auf das Gutachten legen aber nahe, dass sie das Urteil  nicht gutheißen, aber akzeptieren werden.

„Die AfD inhaltlich stellen“

Andreas Schwarz, Fraktionschef der Grünen, betrachtet die Rechtsfrage als geklärt. Er betonte seine Partei werde die AfD im Landtag weiterhin inhaltlich stellen. „Die Debatten der noch jungen Wahlperiode haben gezeigt, dass die Partei über ihre internen Skandale hinaus nichts zu bieten hat“, unterstrich Schwarz am Montag in Stuttgart. Die Grünen-Landeschefs Oliver Hildenbrand und Thekla Walker verwiesen auf die hohen Kosten, die mit zwei AfD-Fraktionen auf die Steuerzahler zukämen. „Nicht alles was rechtlich möglich sein mag, ist auch politisch anständig“, sagten sie und spielten darauf, dass die Mitglieder der AfD den etablierten Parteien immer wieder wortstark  Steuerverschwendung vorwerfen.  Auch die CDU verwies auf die hohen Kosten, die nach der Spaltung auf die Steuerzahler zukommen werden. „Bei Aufrechterhaltung dieser Rechtsmeinung stünden einer abgespaltenen Fraktion auf Kosten des Steuerzahlers erheblich Privilegien zur Seite“, erklärte CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhardt.  Er glaubt auch nicht, dass der Streit in der AfD ausgestanden ist. „Im Übrigen bleibt abzuwarten, ob es bei dieser einen Spaltung bleibt oder ob sich nicht in absehbarer Zeit erneut neue Abgeordnetenzusammenschlüsse bei der AfD ergeben.“

Die Sicht der AfD

Ganz anders stellt sich die Lage aus Sicht der Alternative für Deutschland dar. Nach Darstellung der Rest-AfD-Fraktion soll die Fraktion in absehbarer Zeit wieder fusionieren. Trotz des Gutachtens  liefen dazu auf  allen Ebenen Gespräche, sagte Heiner Merz, der die Restfraktion leitet. Angesichts des angestrebten „dritten Weges“ sei die Expertise „hinfällig“, fügte er am Montag in Stuttgart zu. Am Samstag  hätten sich die Kreisvorsitzenden der AfD für ein Zusammengehen der Gruppe um AfD-Bundeschef Jörg Meuthen und der Rest-Fraktion ausgesprochen. Sowohl Meuthen als auch Merz waren bei dem Treffen dabei. Demnach soll die Neugründung der AfD-Fraktion bis Ende der Sommerpause mit Hilfe eine Mediators erfolgen. Das allerdings würde eine totale Kehrtwende Jörg Meuthens bedeuten. Der hatte in diesen Tagen eine Fusion der beiden Gruppen  definitiv  ausgeschlossen.

Der Grund für die Spaltung

Die Alternative für Deutschland im baden-württembergischen Landtag hatte sich Anfang Juli aufgespalten. Hintergrund war ein wochenlanger Streit in der Fraktion über dem Umgang mit dem Abgeordneten Wolfgang Gedeon, dem Antisemitismus vorgeworfen wird. Jörg Meuthen hatte am 5. Juli gemeinsam mit einigen Parteikollegen die Fraktion verlassen.

Aus Wut wird Hass und dann Gewalt

Der Psychologe Jan Kizilhan erklärt, warum Menschen zu Waffen greifen. Und was der Unterschied zwischen einem Terroristen und einem Amokläufer ist.

16.07.25-Kizilhan

Der Psychologe Jan Kizilhan

Die Gefahr von Nachahmungstätern ist hoch

Es gibt keine einfachen Erklärungen dafür, weshalb ein Mensch zur Waffe greift und um sich schießt. Für Jan Kizilhan gehört es allerdings zum Beruf, sich auf die Suche nach den Gründen für solche Bluttaten zu machen. Der Psychologe ist Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und leitet dort den Studiengang für Soziale Arbeit mit psychisch Kranken. Er ist wenig erstaunt darüber, dass es im Moment immer wieder zu Anschlägen kommt. „In einer Atmosphäre des allgemeinen Terrorismus kommen diese Menschen eher auf die Idee, gewalttätig zu werden“, sagt Kizilhan. Die  Gefahr von Nachahmungstätern sei also sehr hoch.

Allerdings macht der Professor eine klare Unterscheidung zwischen Terroranschlag und Amoklauf. Amokläufer seien fixiert auf sich selbst, die eigenen Probleme, die von außen erfahrene Demütigung. Diese Menschen hätten fundamentale Schwierigkeiten mit dem Selbstwertgefühl. „Sie empfinden Wut und Hass auf die Welt und kommen damit nicht zurecht“, erklärt Kizilhan. Und weiter: „Durch das Töten bekommt ein Amokläufer Macht über einen Menschen –  er fühlt sich Gott-gleich.“

Ein Terrorist hat eine andere Motivation

Ein Terrorist habe eine ganz andere Motivation zu Töten, erklärt der Psychologe. „Der Terror des IS ist politisch und religiös motiviert. Getötet wird mit der Absicht, Gutes zu tun –  auch über den eigenen Tod hinaus.“ Natürlich gebe es bei beiden Typen Berührungspunkte. Auch ein Terrorist könne aus einer „Selbstwertproblematik“ heraus radikalisiert werden. Und auch ein Amokläufer könne sich einen ideologischen Überbau für seine Tat zusammenbasteln. Als Beispiel dafür nennt Kizilhan den Norweger Andres Breivik. In eine noch andere Kategorie falle wohl der Mord in Reutlingen. „Nach allem, was wir im Moment wissen, ist das eher eine Art Ehrenmord“, sagt Jan Kizilhan. Da geht es um Respekt, zurückgewiesene Zuneigung einer konkreten Person und verletzte Ehre.

Wenig erstaunlich ist es in den Augen des Experten, dass vor allem junge Männer zu den Tätern zählen. „Wir leben noch immer in einer von Männern dominierten Gesellschaft. Das heißt, wir verhalten uns geschlechterspezifisch“, beschreibt der Professor. Männer reagierten aggressiv, Frauen eher kommunikativ-zurückhaltend. Und auch für die Tatsache, dass kaum ältere Männer zu Tätern werden, hat er eine Antwort: „Die haben die Zeit des Aufstandes längst hinter sich.“

Die Gesellschaft kann sich wehren

Die Gesellschaft sei der steigenden Zahl von Anschlägen nicht hilflos ausgeliefert. Jan Kizilhan unterstreicht, dass viele Täter „vom System aufgefangen“ werden könnten. Konkret heißt das: die potenziellen Täter zeigten in ihrem sozialen Umfeld schon früh eine höhere Verhaltensauffälligkeit. Oft seien es Einzelgänger, sie hätten große Schwierigkeiten, sich mitzuteilen oder in die Gemeinschaft einzufügen. Er fordert etwa, dass in den Schulen mehr auf solche Entwicklungen geachtet werde. „Psychologen könnten rechtzeitig eingreifen und mit den jungen Leuten reden“, sagt Jan Kizilhan. „Unsere Verantwortung ist es, im Umfeld wach zu sein.“

Der Psychologe rät der Gesellschaft, trotz der vermeintlich erhöhten Bedrohungslage ruhig zu bleiben. „Die subjektive Angst ist da, dem müssen wir mit Rationalität begegnen.“ Hier sieht er vor allem die Politiker – und auch die Medien – in der Pflicht. Es müsse immer wieder erklärt werden, dass es sehr unwahrscheinlich ist, Opfer eines Attentates zu werden. Natürlich sieht Kizilhan die Gefahr, dass internationale Terroristen auch in Deutschland mit schweren Attentaten zuschlagen könnten. „Am Anfang würde sich Hysterie, Panik und Angst verbreiten“, sagte er, „aber wir würden schnell lernen, damit zu leben. Das ist wie das Leben im Krieg, an das die Menschen sich gewöhnen. Wir werden unser Verhalten daran anpassen.“

Die AfD vergiftet die Gesellschaft

Was die AfD im Fahrwasser der Anschläge betreibt, hält der Psychologe für extrem kontraproduktiv. „Die Äußerungen der AfD-Vertreter schüren gezielt die Angst der Menschen.“ Das sei Gift für die ganze Gesellschaft. Kizilhan bringt den Ablauf in ein einfaches Bild: „Wir haben Angst, sind verunsichert, schlafen schlecht, werden noch nervöser, sind böse zu unseren Nachbarn, zur Familie und natürlich auch zu Migranten.“ Er unterstreicht wiederholt, dass die einzige Lösung sei, rational auf die vermeintliche Bedrohung zu reagieren.

Anschlag in München – Twitter gewinnt das Info-Rennen

Die sozialen Medien sind unschlagbar wenn es darum geht, schnell über ein Ereignis zu berichten. Selbst Online-Medien wirken in diesem Wettlauf wie alte Medien. Die öffentlich-rechtlichen Sender entfalten erst spät ihre Qualitäten. 

16.07.25-FB-München

Dieser Facebook-Account war das Ziel des Hasses der Internet-Meute.

Information in Echtzeit

Twitter hat wieder einmal seine Stärken gezeigt. Es hat in Echtzeit über die blutige Schießerei in München informiert. Kurz vor 18 Uhr laufen die ersten Meldungen über den Kurznachrichtendienst. Zuerst sind es nur Informationsfetzen, wilde Vermutungen, doch nach und nach setzen sie sich wie ein Mosaik zu einem Gesamtbild zusammen. Auch in München hat sich gezeigt, dass die Sozialen Medien kaum zu schlagen sind, wenn es darum geht, Informationen schnell zu verbreiten. Gegen die Live-Berichterstattung von Augenzeugen in 140 Zeichen mit Fotos und Videos wirkten selbst Online-Medien, die größtenteils auf die Zulieferung von Agenturmaterial angewiesen waren, am Ende wie alte Medien.

Plötzliche Berühmtheit durch Periscope

Das haben  auch die Nachrichtensender realisiert. War nach dem Anschlag in Nizza oder dem Putsch in der Türkei ein erstaunliches News-Vakuum zu bemerken, haben die Redakteure bei den TV-Kanälen inzwischen  eine traurige Routine entwickelt, Nachrichten so schnell wie möglich zu senden.  Zu einer gewissen Berühmtheit gelangte ein junger Mann, der live über den Video-Dienst Periscope von dem Anschlag in dem Münchner Einkaufszentrum berichtete. Er stand zufällig in unmittelbarer Entfernung, direkt in der Masse der verstörten Menschen und filmte drauflos. Erst als allmählich die Nachrichtensender seinen Livestream direkt für ihre Berichterstattung übernahmen, schien dem jungen Mann klar zu werden, welche Wucht seine Bilder hatten. Nicht immer jedoch ist die Schnelligkeit in 140 Zeichen auch der Weisheit letzter Schluss: viele Tweets, die unter den Hashtags #Muenchen und #OEZ abgesetzt wurden, führten teilweise in die Irre – wie etwa beim Gerücht, dass es eine Schießerei am Stachus gegeben habe.

Stärke und Schwäche der ARD

Die öffentlich-rechtlichen Sender verzichteten  darauf, sich direkt aus dem Material der sozialen Medien zu bedienen – und sahen damit sehr alt aus. Während die Privatsender schon die Bilder des um sich schießenden Mannes übertrugen, mussten sich die Zuschauer von ARD und ZDF mit Hinweisen der Sprecher begnügen, dass es noch keine gesicherten Fakten gebe. Im Laufe der Berichterstattung zeigte sich dann  die Stärke der öffentlich-rechtlichen Medien. In den ersten Stunden des Anschlags ging es darum, schnell einen Eindruck von der Situation zu vermitteln – dieses Rennen haben ARD und ZDF verloren. Dann aber wurden die solide Recherche und der Sachverstand bei der Berichterstattung immer wichtiger. Ausgewogene Einschätzungen waren gefragt, Hintergründe und Erläuterungen – nicht mehr der Informationsschnellschuss. Hier liegen die öffentlich-rechtlichen Sender vorn.

Die Polizei nutzt Twitter

In München zeigte sich, dass  auch die Polizei die  Vorteile der sozialen Medien zu nutzen weiß. Immer wieder twitterte die Polizei, warnte die Menschen, zuhause zu bleiben, keine Fremden im Auto mitzunehmen und offene Plätze zu meiden. Auch Nachrichten, die sich als Falschmeldungen herausstellten – wie die gemeldete Schießerei am Stachus – konnten auf diesem Weg von den Beamten sehr schnell dementiert werden. Schließlich schickte die Polizei die Aufforderung an die Nutzer, das Medium verantwortlich zu benutzen und keine Beamten im Einsatz vor Ort zu filmen oder zu fotografieren und dieses Material dann ins Netz zu stellen. Jeder der Nutzer verstand sofort, dass diese Aufforderung keine Zensur bedeutete, sondern den Tätern keine wichtigen Informationen über den laufenden Einsatz geben sollte. Auch diese Nachricht verbreitete sich schnell über den Kurznachrichtendienst und viele Nutzer schienen sich daran zu halten.
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Was die sozialen Netzwerke zudem leisten können, demonstrierte auch Facebook, das den „Safety Check“ („Sicherheitscheck“) für München aktivierte, womit Bewohner mitteilen können, dass sie in Sicherheit sind. Zudem twitterten etliche Bewohner der Stadt den Hashtag #OffeneTür, um Menschen Unterschlupf zu gewähren.
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Die übliche Hexenjagd

Allerdings kam es im Netz auch zur fast schon üblichen Hexenjagd. Über den Facebook-Account einer  jungen Frau war in den Stunden vor der Schießerei mehrere Male dazu aufgerufen worden, sich um 16 Uhr an dem Einkaufszentrum beim  Münchner Olympiastadion zu treffen. Wie auf Befehl empörte sich der Internet-Mob, der einen der Täter gefunden glaubte, der unschuldige Menschen in eine Falle locken wollte. Wüste Beschimpfungen und Todesdrohungen hagelten auf das Mädchen nieder. Niemand wusste, wer die junge Frau ist, ob ihr Account gehakt worden ist oder ob das alles einfach nur Zufall war. Das  Internet zeigte sich  von seiner ganz hässlichen Seite.

„Es droht ein Bersten der Gesellschaft“

Cem Özdemir, Parteichef der Grünen, sieht in der Türkei einen „zivilen Putsch“ am Werke. Er  sieht „von außen“ derzeit kaum Einflussmöglichkeiten auf die Geschehnisse in der Türkei. Er verlangt gegenüber Präsident Erdogan aber eine klare Haltung.

Ein Interview:

16.07.22-Özdemir

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Herr Özdemir, überkommt Sie zwischendurch der Gedanke, es wäre besser gewesen, wenn der Putsch türkischer Militärs Ende voriger Woche Erfolg gehabt hätte?

Nein, wer die Geschichte der Militärputsche in der Türkei kennt, der weiß, da hat man nichts Gutes zu erwarten. Aber klar ist auch: die Alternative zum Militärputsch kann nicht der zivile Putsch sein. Genau der findet zurzeit statt.

Präsident Erdogan versucht alle tatsächlichen oder vermeintlichen Opponenten aus ihren Ämtern zu vertreiben und ein islamisches Präsidialsystem zu errichten. Ist er noch zu stoppen?

Um es ironisch zu formulieren: Aktuell kann wohl nur er selbst sich stoppen, und das versucht er ja auch gerade. Erdogan ist für sich selbst der größte Feind. Weil er ständig an der Schraube der Eskalation dreht, gefährdet er das Modell Erdogan. Das wird die Gesellschaft irgendwann zum Bersten bringen. Man muss Schlimmstes befürchten für die Türkei.

Bis hin zum Bürgerkrieg?

Es ist zu befürchten, dass das, was bisher als bewaffneter Kampf zwischen PKK und staatlichen Sicherheitskräften ausgetragen wird, auf die Zivilgesellschaft übergreift. Da kann ich nur sagen: Gott behüte!

Deshalb noch einmal die Frage: Wer kann Erdogan stoppen?

Nach Lage der Dinge wohl nur Kräfte in seiner eigenen Partei AKP. Durch den wirtschaftlichen Erfolg des Landes zu Beginn seiner Amtszeit hat Erdogan viele Anhänger gefunden. Dies alles setzt er aufs Spiel. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mit einem geschwächten Beamten-, Polizei- und Militärapparat die Sicherheit der Türkei aufrechterhalten und die Wirtschaft auf ihrem heutigen Niveau gehalten werden kann. Willkürherrschaft ist kein gutes Klima für Investitionen, Wachstum und Jobs.

Erdogans Druck auf alle Andersdenkenden ist enorm stark. Müssen wir uns darauf einstellen, bald die ersten Asylbewerber aus der Türkei in Deutschland zu haben?

Ja, ich gehe davon aus, dass die Zahlen nach oben gehen. Ich kenne viele in der Türkei, die sich gerade die Frage stellen, ob sie nicht dauerhaft nach Europa gehen, weil sie den Kampf um Demokratie und Freiheit als verloren ansehen.

Wie sollte Berlin reagieren, wenn jetzt ein türkischer Journalist nach Deutschland kommt und erklärt, er werde in seiner Heimat politisch verfolgt?

Ich wüsste nicht, mit welchem Argument man ihm das Asyl verwehren könnte. Genau für solche Fälle haben wir das Asylrecht. Nach dem Flüchtlingsabkommen mit Ankara müsste die deutsche Regierung jetzt eigentlich ein Programm auflegen für Künstler, Journalisten und Wissenschaftler, das ihnen die Möglichkeit gibt, in Europa einen Platz zu finden. In der Türkei haben sie den im Moment nicht. Wie wäre es, wenn Frau Merkel beim nächsten Türkeibesuch der Erdogan-kritischen Zeitung Cumhuriyet ein Interview gäbe. Das wäre ein starkes Signal, dass unsere Solidarität den Demokraten in der Türkei gilt. Die haben gerade das Gefühl, dass wir sie verraten.

Kann der Flüchtlingsdeal, den die EU mit Erdogan eingegangen ist, noch fortgelten?

Wir als Grüne hatten schon vor dem Putsch viele kritische Fragen, auf die wir von der Bundesregierung wenig befriedigende Antworten bekommen haben. Zum Beispiel nach den Schüssen türkischer Soldaten auf Flüchtlinge an der Grenze zu Syrien. Zum Beispiel nach der Möglichkeit des Islamischen Staates, in der Türkei relativ ungehindert Kämpfer zu rekrutieren. Jetzt stellt sich natürlich eine neue Frage: Wie kann ich sagen, dass Flüchtlinge aus anderen Ländern in der Türkei angeblich sicher sind – aber die Bürger der Türkei selbst sind es nicht?

Ist das Flüchtlingsabkommen also tot?

Ich will nicht sagen, dass eine grüne Regierung nicht mit den Putins und Erdogans dieser Welt reden würden. Aber das kann nicht heißen, dass man Augen zu und durch sagt. Genauso wird beim Flüchtlingsabkommen gehandelt.

Welche Druckmittel würden Sie denn der EU empfehlen, um Erdogan zu beeinflussen?

Viele gibt es da nicht mehr. Der Hebel der EU-Beitrittsverhandlungen bricht uns auch gerade weg. Herrn Erdogan geht es längst nicht mehr um die EU, sondern um den eigenen Machterhalt. Dem hat sich alles andere unterzuordnen. Seine Existenz, auch die seiner Familie und Entourage, hängt an dieser Macht. Darum sind die Möglichkeiten, von außen Einfluss zu nehmen, begrenzt. Was wir aber machen können: Ehrlichkeit in die Debatte bringen…

Was heißt das konkret?

Wir dürfen nun keine neuen Kapitel in den EU-Beitrittsgesprächen eröffnen. Dann würden alle zu Recht sagen: wir haben doch ein Rad ab! Die Beitrittsverhandlungen sind de facto Gespräche, in denen wir so tun, als hätte die Türkei eine faire Chance auf einen Beitritt – und die Türkei tut so, als ob sie daran Interesse hätte. Beides stimmt nicht. Deshalb gehören die Beitrittsverhandlungen auf Eis gelegt. Wir sollten sie aber nicht grundsätzlich abbrechen. Eine demokratische Türkei hat einen Platz in Europa – aber nicht die Erdogan-Türkei.

Die Pogromstimmung, die Erdogan erzeugt, greift auf Deutschland über. Auch hier haben viele Türken Angst vor Übergriffen durch Landsleute. Wie kann man das stoppen?

Das hängt von den Signalen der deutschen Politik ab. Der Arm Erdogans reicht weit, aber er hat hier in Deutschland nichts verloren. Ich erwarte, dass wir die Maßstäbe, die wir an die deutschen Pegidas anwenden auch bei der türkischen Pegida ansetzen, der Türkida. Um es konkret zu machen: Wer mit dem Pegida-Anführer Lutz Bachmann befreundet ist und gemütlich Kuchen essen geht, der kriegt hier Probleme. Wer sich aber mit den türkischen Lutz Bachmanns trifft, und das haben wir bislang an den Spitzen von Staat und Parteien getan, der kommt damit durch. Zum Fastenbrechen gehen und Ringelpiez-mit-Anfassen mit Leuten spielen, die ein Problem mit unserem Grundgesetz haben aber nicht mit dem Erdogan-Fanatismus – das geht künftig nicht mehr. Unser Ministerpräsident hat deshalb richtig gehandelt, als er die Morddrohungen gegen Abgeordnete beim Fastenbrechen in Stuttgart angesprochen hat. Diese Klarheit wünsche ich mir auch in Berlin beispielsweise im Umgang mit der Türkischen Gemeinde zu Berlin

Die türkische Union DITIB ist aber an vielen Stellen Ansprechpartner für Deutsche.

Ja, aber wer hier öffentliche Mittel in Anspruch nimmt, muss mit beiden Füßen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen – nicht nur mit Zehenspitzen. Wer DITIB in die Schulen lässt, muss wissen, dass nicht die Kölner Zentrale den Ton angibt, sondern Erdogan. Dessen Gedankengut darf nicht in unsere Schulen kommen.

Sie selbst haben Missgunst und Hass vieler Türken auf sich gezogen. Würden Sie sich derzeit in die Türkei trauen?

Es geht nicht ums trauen, aber es wäre sicher keine sehr kluge Idee, das gegenwärtig zu machen.

 

Hier der Link zur Stuttgarter Zeitung mit einem kurzen Video-Interview

Das Ende der Realpolitik

Die Türkei hält Europa viele Probleme vom Hals.Das kann aber nicht heißen, dass die EU zu den Vorgängen in den Land schweigt.

Ein Kommentar:

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16.07.21-Türkei

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Protestnoten in Richtung Ankara

Es schlägt wieder einmal die Stunde der Realpolitiker. In der Türkei wütet der Präsident und Europa nimmt es hin. Zugegeben: es werden Protestnoten in Richtung Ankara geschickt, Österreich hat den türkischen Botschafter einbestellt und manch ein Regierungschef wagt sogar den Finger zu heben und zu kritisieren, dass Recep Tayyip Erdogan die Demokratie mit Füßen tritt. Der große Aufschrei aber bleibt aus. Irgendwie ist das verständlich, denn schließlich hält die Türkei den Europäern einige Probleme vom Hals. Da ist etwa der Flüchtlingsdeal. Die Angst in Brüssel ist, dass Millionen Menschen den Kontinent fluten könnten – würde Erdogan die Verzweifelten nicht zurückhalten. Dass Europa zu den Vorgängen in der Türkei schweigt ist Realpolitik. Diese Art der kühlen, sachlichen Verhandlungsführung –  ohne Schaum vor dem Mund und ohne ideologische Verblendung –  ist wichtig und richtig. Demokratien müssen bisweilen auch mit Autokraten und Diktatoren verhandeln, die Welt würde sonst in Chaos und wohl auch Krieg versinken.

Opportunismus und Duckmäusertum

Die zentrale Frage aber ist, wann Realpolitik aufhört und wann Opportunismus und Duckmäusertum anfangen. Es gereicht nicht immer zum eigenen Vorteil, gegenüber einem starken Verhandlungspartner für seine Werte einzustehen. Aber es gibt Momente, da gibt es keine andere Möglichkeit.  Im Fall der Türkei ist ein solcher Moment gekommen. Erdogan hat auf den Putsch der Militärs mit einem Gegenputsch geantwortet. Er beseitigt jetzt die letzten Reste von Demokratie, die in seinem Land noch existiert haben. Dem muss Einhalt geboten werden. Aber wie?
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Europa wundert sich, dass  der  Präsident  nicht auf die Protestnoten aus  Brüssel, Berlin oder Paris reagiert. Tatsache ist:  Erdogan geht es schon lange nicht mehr um den Beitritt zur Europäischen Union. Der Machterhalt im eigenen Land hat für ihn oberste Priorität.  Für den Autokraten vom Bosporus ist das eine existenzielle Frage. Wird in einer funktionierenden Demokratie ein Präsident oder ein Regierungschef abgewählt, geht er in die Opposition oder auf sein Altenteil. Für Erdogan gibt es diese Option nicht. Verlöre er die Macht, würde er von seinen siegreichen Gegnern zerrissen werden – und das nicht nur im politischen Sinne. Erdogan ist ein Getriebener.

Erschreckend wenig Einfluss

Für  Europa hat das fatale Konsequenzen: die Einflussmöglichkeiten sind erschreckend gering. Das kann aber nicht heißen, zu kapitulieren und sich an die Hoffnung zu klammern, dass  Erdogan – wenn er sich schon nicht an Recht und Gesetz im eigenen Land hält – wenigstens die internationalen Verträge wie das Flüchtlingsabkommen einhält. Europa kann der Türkei helfen, aus der Sackgasse zu gelangen, in die sie Erdogan manövriert hat. Wichtig ist, dass beide Seiten endlich  ehrlich sind. Es kann nicht laufen wie bei den verlogenen Verhandlungen  zum EU-Beitritt. Brüssel muss klar sagen, was erwartet wird und Ankara muss ebenso klar erklären, was man zu liefern bereit ist. Europa darf dabei nicht müde werden daran zu erinnern, welche Werte nicht verhandelbar sind, weil sie den Kontinent stark und friedlich gemacht haben: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und freie Marktwirtschaft. Ein erster Schritt in Richtung dieser neuen Ehrlichkeit wäre, die aktuellen EU-Beitrittsverhandlungen auf Eis zu legen.
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Deutschland kommt in diesem Spiel der wertegeleiteten Realpolitik eine Schlüsselrolle zu. Hier leben Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, die die Vorteile eines demokratischen Rechtsstaates genießen. Diese Kanäle gilt es zu nutzen – im Guten, wie im Schlechten. Denn sollten Nationalisten, Erdogan-Anhänger, Kurden oder wer auch immer versuchen, die Konflikte aus der Türkei nach Deutschland zu tragen, dann muss die Demokratie zeigen, dass sie nicht nur viele Freiheiten bietet, sondern auch sehr wehrhaft ist.

Hier ein Link zu einem Hintergrund über Übergriffe in Deutschland auf Gülen-Anhänger

Pawel Scheremet durch Bombe getötet

Wieder ist in der Ukraine ein Journalist ermordet worden.  Bei einem Anschlag mit einer Autobombe ist Pawel Scheremet gestorben. Der Sprengsatz im Wagen des 44-Jährigen explodierte am Mittwoch im Zentrum der Hauptstadt Kiew, als der gebürtige Weißrusse zur Arbeit fahren wollte.

16.07.20-scheremet

Ein „schockierender Verbrechen“

Natürlich sind alle entsetzt – und versuchen den Tod Scheremets für ihre Sache zu instrumentalisieren. Generalstaatsanwalt Juri Luzenko kritisierte den Mord als Versuch, das vom Krieg gegen prorussische Separatisten erschütterte Land weiter zu destabilisieren. Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko sprach von einer „barbarischen Tat“. Die Täter müssten zur Rechenschaft gezogen werden, forderte Präsident Petro Poroschenko. Er bezeichnete den Mord an dem bekannten Redakteur als „schockierendes Verbrechen“. Russland forderte mit Nachdruck eine lückenlose Aufklärung des Mordes an Scheremet, der einen russischen Pass besaß. Kremlkritische Journalisten in Moskau würdigten den Toten als mutigen Kämpfer für die Wahrheit.

Scheremet ein Freund von Nemzow

Pawel Scheremet hatte viele Feinde. Er war ein Freund des russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow, er schritt an der Spitze des Trauermarsches bei dessen Beerdigung. Die Spekulationen schießen ins Kraut. Russische Medien bezweifeln, dass der Mord auf das Konto des Kremls geht. Die Zeitung „Kommersant“ verwies auf ein Treffen der Führung der Zeitung „Ukrainskaja Prawda“ mit dem russischen Oligarchen Konstantin Grigorischin. Ultranationalistische Ukrainer könnten dies als Verrat empfunden haben und sich gerächt haben. Die russische Agentur RIA Novosti verwies darauf, das Scheremet nicht nur Putin, sondern auch Poroschenko kritisiert hatte.

Scheremet nicht das erste Opfer

Oder sollte der Anschlag jemanden ganz anderen treffen? Der Wagen, in dem Pawel Scheremet starb, gehörte der Chefin des bekannten Nachrichtenportals „Ukrainskaja Prawda“ (UP), Aljona Pritula. Auch ist er nicht das erste Opfer. Erst vor einem Jahr war der regierungskritische Journalist Oles Busina in Kiew erschossen worden.

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Die Organisation Reporter ohne Grenzen befürchtet offenbar, dass der Anschlag nicht aufgeklärt wird. „Der Mord an Pawel Scheremet darf kein weiteres Beispiel für Straflosigkeit werden – das wäre Gift für die Pressefreiheit in der Ukraine“, sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.

Hier der Link zur Reaktion von Reporter ohne Grenzen auf den Mord.

Zugleich erinnerte Christian Mihr an die Ermordung des Gründers der Nachrichtenwebseite Ukrainskaja Prawda, Georgij Gongadse, im Jahr 2000, deren Hintermänner bis heute ungeklärt sind.

Nachtrag:

 

16.07.22-kiew-beerdigung

Kollegen und Freunde verabschieden sich am Freitag von Pawel Scheremet.

Der Kampf hat Deutschland erreicht

Der türkische Präsident Erdogan beschuldigt die Gülen-Bewegung, hinter dem Putschversuch in der Türkei zu stecken. Das nehmen viele seiner Anhänger  in Deutschland, die Anhänger des Predigers anzugreifen. 

16.07.20-Karakoyun

 

Übergriffe von Erdogan-Anhängern

Ercan Karakoyun spricht von einer regelrechten Hexenjagd. Nach dem Putschversuch in der Türkei kommt es auch in Deutschland immer wieder zu Übergriffen auf Gülen-Anhänger oder Einrichtungen, die dem Prediger nahe stehen. „Die Situation ist beängstigend“, sagt Karakyoun, Chef der Stiftung Dialog und Bildung, die Fethullah Gülen nahesteht. Dabei kritisiert auch er ausdrücklich den Umsturzversuch in der Türkei. „Die schlechteste Demokratie ist besser als jeder Putsch“, unterstreicht er.

 Doch die Stimmung ist aufgeheizt. „Ich bekomme inzwischen Morddrohungen“, sagt Karakoyun und zählt im selben Atemzug Angriffe auf mehrere Einrichtungen auf. So belagerten in Gelsenkirchen rund 150 Erdogan-Anhänger einen Jugendtreff der Organisation Hizmet, der der Gülen-Bewegung nahesteht. „Die Randalierer schlugen mit Pflastersteinen die Scheiben ein.“ Auch in vielen anderen Städten sei es zu Übergriffen gekommen. Inzwischen werde vielen Gülen-Anhängern auch der Zutritt zu Moscheen verwehrt, erzählt Karakoyun, den die Situation sichtlich schwer belastet. In den sozialen Netzwerken kursieren zudem Aufrufe, Gülen-Anhänger öffentlich zu machen und unter einer Telefonnummer in der Türkei zu melden. Auch Boykottaufrufe gegen Hizmet-nahe Unternehmer sind in Umlauf.  „Der Kampf ist längst in Deutschland angekommen“, konstatiert Karakoyun.

Ein großes Konfliktpotenzial

Wie groß das Konfliktpotenzial ist, lässt sich an den starken Wahlergebnissen für Erdogan unter den türkischstämmigen Menschen in Deutschland ablesen. Auf 59,7 Prozent kam die islamistische Regierungspartei AKP bei der Parlamentswahl im November hierzulande.

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Lange waren der Prediger Fethullah Gülen und der jetzige türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan enge Weggefährten gewesen, aber Ende 2013 kam es zum Zerwürfnis. Damals hatten türkische Staatsanwälte begonnen – angeblich Gülen-Sympathisanten – wegen Korruption gegen hochrangige Regierungsvertreter zu ermitteln. Darunter vier Minister. Im Gegenzug entließ Erdogan viele Tausend Richter und Staatsanwälte. Er kündigte an, die Gülen-Anhänger auf der ganzen Welt „wie Ratten aus ihren Löchern“ zu jagen und ihnen die „die Hände zu brechen“.

Erdogan liefert keine Beweise

Nun beschuldigt die türkische Regierung die Anhänger des seit 17 Jahren in den USA lebenden islamischen Predigers, hinter dem Umsturzversuch zu stecken. Dieser wies die Anschuldigung umgehend zurück. „Erdogan soll handfeste Beweise für seien Behauptungen vorlegen“, verlangt Karakoyun. Völlig absurd sei es auch zu behaupten, dass die vielen Tausend Festgenommenen in der Türkei alle Anhänger Fethullah Gülens seien. „Erdogan nutzt die Situation aus, um alle Kritiker mundtot zu machen“, ist Karakoyun überzeugt.

Klare Signale aus Berlin gefordert

Karakyoun warnt: „Es ist gefährlich, wie sich die Stimmung hochschaukelt und mit Gerüchten und Verschwörungstheorien auch in Deutschland gegen die Gülen-Bewegung gehetzt wird.“ Dieses Vorgehen zeige auch das mangelnde demokratische Verständnis der Erdogan-Anhänger.

Von der Bundesregierung in Berlin und auch von der Europäischen Union erwartet Karakoyun in dieser Situation „sehr klare Signale“ in Richtung Ankara. „Es muss Erdogan unmissverständlich deutlich gemacht werden, dass auch nach dem Putschversuch noch immer das Recht zu gelten hat.“

Hier noch der Link zu einem früheren Interview mit Ercan Karakoyun. Darin fordert er die Trennung von Staat und Religion.

Türkei-Putsch: Twitter ist die erste News-Quelle

Der Putschversuch in der Türkei am Freitagabend hat alte und neue Medien schlecht aussehen lassen: Newsportale hinkten den sich überschlagenden Entwicklungen in der Türkei teilweise deutlich hinterher, während ARD und ZDF zunächst mit dem vorgesehenen Programm auf Sendung blieben. Wieder einmal bewies der 140-Zeichendienst Twitter dagegen sein Alleinstellungsmerkmal als erstes Echtzeitmedium bei Breaking News. Stark auch: Facebook mit seinen Live-Channels.

16.07.18-Meedia-Türkei-social media

 

Auf MEEDIA ist eine kluge Beschreibung von Nils Jacobsen zu lesen.

Hier geht es zu dem Artikel