Leichtes Spiel für Populisten in Europa

In Europa herrscht ein neuer Nationalismus. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung und gefährdet die EU in ihrer Existenz. 

15.05.29-cameron Der britische Premier David Cameron geht auf auf Tour durch Europa. Sein Ziel: Mehr Vorteile für sein Land herausschlagen! Andererseits droht er mit dem Austritt.

Ein Kontinent in der Krise

Die Europäische Union steckt in der Krise. Ist das eine Neuigkeit? Hat sie das nicht immer getan? Die gesamte Geschichte der EU ist doch eine Aneinanderreihung von Krisen. Seit der Gründung scheinen nationale Egoismen und das  Feilschen um Vorteile das Miteinander zu dominieren. Die EU war nie eine Liebesangelegenheit, sie ist eine Zweckgemeinschaft. Aber sie  hat funktioniert, denn die Vorteile einer Mitgliedschaft im Club der Europäer lagen auf der Hand. Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte sie Frieden, danach Wohlstand – und nun?

Europa als Last

Immer mehr Menschen sehen keinen Sinn mehr in einem geeinten Europa. Die Europäische Union wird als Last, sogar als Bedrohung gesehen – zu groß, zu kompliziert, zu anonym. Das ist die wahre Gefahr der aktuellen Krise.  Für viele scheint der Nationalismus wieder eine Hoffnung für die Zukunft zu sein . Sie blenden die Erfolgen der EU und auch alle blutigen Erfahrungen aus den beiden Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts aus.   Populisten haben in dieser Situation leichtes Spiel. Sie propagieren ein kleines Stück bekannte Heimat in einer komplizierten Welt. Unwichtig ist dabei, ob die Akteure aus dem linken oder rechten politischen Spektrum stammen oder welche einfachen Lösungen für schwierige Probleme sie propagieren. Was die  EU-Kritiker eint, ist die fundamentale Ablehnung der europäischen Integration, die Hand in Hand geht mit der Überhöhung der eigenen Nation.

Populisten haben das Wort

In Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Ungarn, Griechenland, Spanien, Finnland oder Dänemark bestimmen Populisten inzwischen zentrale Themen der politischen Diskussion. Dazu müssen sie nicht einmal auf der Regierungsbank sitzen. Das zeigt eindrucksvoll das Beispiel David Camerons. Der mit einer absoluten Mehrheit ausgestattete britische Premier ist in der Europa-Frage ein Getriebener der rechtsnationalen, anti-europäischen Ukip-Partei. Die hat bei den Wahlen  zwar über zehn Prozent  der Stimmen, aber  nur einen Sitz im Parlament bekommen. Cameron aber reist in diesen Tagen durch Europa, um das Rad der Integration im Sinne Londons weit zurück zu drehen. Gelinge das nicht, so lautet die deutliche Ansage, werde Großbritannien aus der EU austreten.

Die britische Drohung

Das Problem ist nicht nur diese britische Drohung. Die   Union wird durch die Renaissance des Nationalismus in ihrer Existenz in Frage gestellt. Das hat zwei Gründe. Zum einen wird die dringende institutionelle Reform der EU blockiert. Völlig fixiert auf die  eigenen Interessen, sind die Staaten nicht zu tragfähigen supranationalen Kompromissen fähig. Zum anderen wird die europäische Idee von einem geeinten Kontinent von innen heraus zerstört. Solidarität ist längst ein Schimpfwort.

Die Finanzkrise als Auslöser

Zentraler Auslöser dieser existenziellen Bedrohung Europas ist die Wirtschafts- und Finanzkrise. Sie hat die Konstruktionsfehler der Währungsunion sichtbar gemacht und zu einem dramatischen Verteilungskampf geführt. Die EU-Mitglieder verhandeln nicht mehr auf Augenhöhe, es stehen sich Schuldner und Gläubiger gegenüber. Deren Beziehung  wird durch gegenseitiges Misstrauen bestimmt.

Deutschlands neue Rolle

Deutschland spielt in dieser Situation einen zentralen Part. Das Land ist durch die Schwäche seiner Partner, die eigene wirtschaftliche Stärke und die klare Linie der Regierungspolitik in die europäische Führungsrolle gerutscht. In Berlin wird  maßgeblich entschieden, ob das Gegeneinander in Europa wieder zu einem Miteinander wird. Die nächste Gelegenheit dazu hat Kanzlerin Angela Merkel, wenn sie auf  Cameron trifft. Sie wird dem Briten Recht geben können, dass Europa reformiert gehört. Sie muss ihn aber überzeugen, dass die Reformen die Union nicht aushöhlen dürfen, sondern die Gemeinschaft stärken müssen. Scheitern sie, ist Europa dem Abgrund  noch einen Schritt näher.

Berlusconi entdeckt Instagram

Silvio Berlusconi ist zurück. 2013 war er wegen Steuerbetrugs verurteilt worden, musste Sozialdienst im Altenheim ableisten und durfte zwei Jahre kein öffentliches Amt bekleiden. Doch das alles ist Geschichte und Berlusconi will es noch einmal wissen. Für den Start ins neue politische Leben hat der „Cavaliere“ das Internet entdeckt. Seit einigen Tagen ist der 78-Jährige auf dem Fotonetzwerk Instagram unterwegs.

15.05.28-Berlu01 Berlusconi verfolgt den ESC

Tiefe Einblicke

Dort gibt er tiefe, manchmal auch ungeschminkte Einblicke in sein sagenumwobenes Privatleben. Das allerdings ist – entgegen vieler Vermutungen – eher gewöhnlich. Keine Bilder von ausschweifenden Bunga-Bunga-Partys mit minderjährigen Teilnehmerinnen in Nonnenkostümen, keine Trinkgelage mit teurem Schampus und Kaviar. Berlusconi hatte all diesen Darstellungen immer energisch widersprochen und stets nur von „eleganten Abendessen“ erzählt. Die Richter glaubten ihm und sprachen den Mann frei, der viermal Ministerpräsident von Italien war und fast 15 Jahre das Land regiert hat.

15.05.28-francesca Berlusconi und seine Freundin Francesca

Die ungeschminkte Wahrheit

Nun also zeigt Berlusconi auf Instagram seine Wahrheit – und die einzigen, die ausgelassen durch die sagenumwobene Villa Arcore toben sind seine drei Hündchen. Der 78-Jährige selbst gibt sich seriös, drückt beim ESC zu nächtlicher Stunde den italienischen Tenören die Daumen und schmiegt sich selig lächelnd an seine fast 50 Jahre jüngere Freundin Francesca Pascale. Die Botschaft ist eindeutig: Seht her, ich bin kein hormongesteuerter Hallodri und kaltblütiger politischer Strippenzieher! Hier präsentiert sich auf teils verschwommenen Bildchen ein ganz normaler Mann, der sehr hart für sein Land arbeitet – es ist die heile Welt eines italienischen Patrioten. Immer wieder sind auf den Bildchen geschickt beiläufig die Farben der italienischen Flagge drapiert – sei es als Blumengesteck im Hintergrund oder auf dem Teller als grün-weiß-rote Pasta.

15.05.28-pasta Berlusconi und seine Pasta

Kampf ums Überleben

Fast 100 Fotos sind in einer Woche hochgeladen worden und über 27.000 Abonnenten hat der Account. Und warum das alles? Es ist der Kampf ums politische Überleben! Berlusconis Partei „Forza Italia“ droht der Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Kommenden Sonntag sind Regionalwahlen und es droht eine politische Katastrophe – aber daran ändert wahrscheinlich auch der patriotische Instagram-Auftritt Berlusconis herzlich wenig.

Neuer Nationalismus in der EU

Der Sieg des national-konservativen Andrzej Duda in Polen ist eine Warnung: das europäische Projekt gerät weiter in die Defensive.  Der  Überblick  über einige Länder zeigt, dass die EU-Kritiker ihre politische Heimat  im linken wie im rechten Spektrum finden. Was sie eint, ist die Ablehnung von mehr europäischer Integration.

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Aber sind sie mehr als ein Ventil für Bürgerprotest, der sich gegen die EU, „Spardiktate“ und Einwanderung richtet? Die Frage stellt sich, weil die Populisten mit Ausnahme des Linksbündnisses Syriza in Griechenland nur aus der Opposition heraus agieren können. Eine aktuelle Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass die Parolen rechtspopulistischer Parteien inzwischen auch auf die Linie der Regierungen wichtiger Länder innerhalb und außerhalb der Euro-Zone abgefärbt haben. Es sei erkennbar, dass sich „Ton und Inhalte in der Einwanderungs- und Grenzkontrollpolitik“ in Großbritannien, Frankreich und Dänemark „verschärft haben“, heißt es in der Studie. „Ohne den anhaltenden Druck von rechts wäre dies so nicht passiert“, lautet das Fazit des Ländervergleichs.

Hier ein kleiner Überblick:

Spanien

Die spanische Partei Podemos hat ihren Aufstieg der Krise zu verdanken. Die hohe Arbeitslosigkeit und das Anwachsen der sozialen Ungleichheit in Spanien werden zwar  den Eliten des eigenen Landes angelastet, doch mischt sich dieser Unmut mit  grundsätzlicher Kritik an der  EU. Im Fokus steht vor allem Deutschland, das den Spaniern als der arrogante Gutsherr erscheint, der ihnen  immer weitere Lasten auferlegt. Gleichzeitig fordert Podemos eine wesentlich größere Bürgerbeteiligung bei gesamteuropäischen Angelegenheiten und mehr Selbstbestimmung für die europäischen Völker – etwa mit Blick auf die separatistischen Bestrebungen in Katalonien.

Griechenland

Der wortgewaltige Populismus der griechischen Politiker Alexis Tsipras und Gianis Varoufakis droht zum Modell des Widerstands gegen die deutsche Dominanz in der EU zu werden. Syriza weist die Verantwortung für Fehlentwicklungen im Land vor allem der Euro-Rettungspolitik zu und schürt so die Ressentiments gegen Europa. Die Attacken gegen Brüssel sind zwar massiv, doch hält sich Syriza mit der Forderung nach einem Euro-Austritt zurück, da sich die meisten Griechen  noch immer für den Verbleib im Währungsraum aussprechen.

Frankreich

Die Position des Front National ist klar: die rechtspopulistische Partei will den Austritt Frankreichs aus dem Euro und der EU – obwohl  die überwältigende Mehrheit der Franzosen  den Verbleib in der Gemeinschaftswährung will. Die 1972 gegründete Partei findet nach einer Neuausrichtung 2011 unter der Parteivorsitzenden Marine Le Pen  zunehmend Zuspruch. Rhetorik und Verhalten wurden gemäßigt, das Themenspektrum erweitert. Neben Einwanderung kritisiert der FN auch Globalisierungstendenzen und die EU. Bei den Regionalwahlen im März erhielt er hohe Zustimmung,  konnte die Wahl jedoch nicht für sich entscheiden. Ausdrückliches Ziel Marine Le Pens ist es, die kommenden Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017 zu gewinnen.

Großbritannien

„Raus aus der EU“, das ist das Motto der Ukip in Großbritannien. Damit stößt sie bei den Menschen auf große Resonanz: immerhin 40 Prozent der Briten vertreten die Meinung, ihr Land sei ohne EU besser gerüstet. Demgegenüber stimmen 57 Prozent für den Verbleib in der Union. Die Parolen der Ukip finden sich inzwischen auch in der Regierungspolitik wieder. Die Tories fahren in der Gesetzgebung und in der Rhetorik eine härtere Linie gegenüber Brüssel als  zum Antritt der Regierung David Camerons.

Finnland
Die 1995 gegründete Partei Die Finnen gehören dem rechten Spektrum an. In der Eurokrise konnten sie sich mit EU-skeptischen Positionierungen profilieren. Sie fordern laut Bankstudie die Verteidigung der nationalen Identität und eine stärkere Verantwortung der Nationalstaaten in Europa. Jede Form der Umverteilung in Europa wird kritisiert. Dabei sind Die Finnen jedoch vorsichtig, denn das Gros der Bevölkerung plädiert für den Euro. Auf nationaler Ebene soll ein progressiveres Steuersystem mehr Umverteilung bringen.

Italien
Die Experten der Deutschen Bank machen in Italien gleich mehrere populistische Kräfte aus: die Bewegung Movimento 5 Stelle (M5S), Lega Nord und Forza Italia. Die M5S ist weder klar im linken noch im rechten Spektrum zu verorten – im Mittelpunkt der Kritik stehen die Privilegien für Politiker. Als zweistärkste Einzelpartei kommt die Bewegung auf 109 von 630 Sitzen im Parlament. Vorsitzender Beppe Grillo fordert Referenden über den Austritt aus dem Euro und der EU.

Die im rechten Spektrum verortete und EU-kritische Lega Nord tritt seit der Gründung 1989 für die Föderalisierung Italiens und die Autonomie des Nordens ein. Sie ist mit 19 Sitzen im Parlament vertreten. Die Forza Italia kommt derzeit auf 70 Sitze und ist damit viertstärkste Einzelpartei: Parteichef Silvio Berlusconi fordert im Einklang mit den anderen beiden populistischen Kräften den Austritt Italiens aus der Eurozone.

Deutschland
Die Alternative für Deutschland AfD ist relativ jung und konnte sich in den vergangenen zwei Jahren vor allem mit scharfer Kritik am Eurorettungskurs, aber auch mit Positionen zur Einwanderungspolitik profilieren. Die Partei befürwortet die Auflösung des Euroraums und will nationale Währungen beziehungsweise kleinere Währungsverbünde einführen. Die Mehrheit der Deutschen – fast drei von vier – spricht sich allerdings für die Eurozone aus.

Duda weckt böse Erinnerungen

Der 43 Jahre alte Europaabgeordnete Andrzej Dudas schlägt in der Stichwahl Amtsinhaber Bronislaw Komorowski (62) von der liberalen Bürgerplattform. Wie die Wahlkommission nach Auszählung der Stimmen am Montagnachmittag bekanntgibt, votierten für Duda 51,5 Prozent der Wähler. Er gehört der Oppositionspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) an. Für den bisherigen Amtsinhaber stimmten 48,5 Prozent der Wähler.

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Freude bei der katholischen Kirche

Die katholische Kirche nimmt sich für ihre Reaktionen für gewöhnlich sehr viel Zeit. Dieses Mal aber schien die Freude zu groß über den Sieg Andrzej Dudas in Polen. Nur 20 Minuten dauerte es, bis der Episkopats-Sprecher Jozef Kloch mitteilte: „Die Polnische Bischofskonferenz gratuliert dem gewählten Präsidenten herzlich!“ Kein Wunder – die Mehrheit der Bischöfe unterstützt den nationalkonservativen Wahlsieger Andrzej Duda. Im Wahlkampf bekannte sich der gebürtige Krakauer oft zu seinem katholischen Glauben. Im TV-Duell mit Komorowski berief sich Duda mehrfach auf den „Heiligen Johannes Paul II.“ Komorowski wich dagegen in einem wichtigen Punkt von der Kirchenlehre ab. Er machte sich offensiv für die In-Vitro-Fertilisation stark, die künstliche Befruchtung im Reagenzglas. Die Bischöfe fordern jedoch seit Jahren ein Verbot künstlicher Befruchtung, mit der Begründung, dass dabei erzeugte Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib selektiert und zerstört werden.

Duda gibt sich bescheiden

In der Stunde des großen Triumphes blieb Andrzej Duda bescheiden. Zudem versucht er den Brückenschlag über Parteigrenzen hinweg: „Ich will, dass man in fünf Jahren sagt, dass Duda der Präsident aller Polen ist“, sagte der 43-jährige Jurist. Sein PiS-Parteibuch will Duda aus diesem Grund zurückgeben.

Vor allem in den Städten zweifeln jedoch viele an der Weltoffenheit des neuen Präsidenten. Viele befürchten, dass das Land unter ihm stramm nach rechts driften könnte. Denn noch immer ist er eine Antwort auf viele Fragen schuldig: Wie wird es künftig weitergehen im Verhältnis zur EU, zu Deutschland oder zu Russland? Im Wahlkampf hatte er sich auf sozialpolitische Themen konzentriert, auf die Alltagsprobleme der Polen.

Die Identität Polens in der EU bewahren

Polen müsse seine nationale Identität auch in der EU bewahren, seine nationalen Interessen verfolgen, betonte er immer wieder bei seinen Auftritten. Liberale Polen hören aus diesen Worten ein tiefes Misstrauen gegen ein Europa, in dem homosexuelle Paare heiraten können, ein liberales Abtreibungsrecht herrscht und Sexualerziehung an den Schulen selbstverständlich ist. Es weckt aber auch Erinnerungen an die Zeit, als Polen unter dem nationalkonservativen Präsidenten Lech Kaczynski und seinem Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski als Regierungschef kaum einen Konflikt mit den Nachbarn ausließ. Damals galten Kompromisse in der EU als Zeichen von Schwäche und die Erinnerung an tragische historische Erfahrungen blockierten den Blick auf die gemeinsame Zukunft in Europa.

Ein „Diktator“ in Riga

Manchmal sind es die kleinen Gesten, die sehr tief blicken lassen. Beim Gipfeltreffen in Riga war das ein Geplänkel zwischen Jean-Claude Juncker und Viktor Orban. Der Punktsieg ging ganz eindeutig an den EU-Chef.

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EU-Kommissionspräsident Juncker schien viel Spaß beim Begrüßen der Gäste zu haben. Oder ist das schon die Verzweiflung über einige europäische Partner, die sich in Sarkasmus die Bahn bricht? Ziel seines Spotts war vor allem der immer autoritärer auftretende Victor Orban.

„Hallo Diktator!“

Als sich der ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban zum Handschlag näherte, raunte Juncker auf Englisch die Worte „Der Diktator kommt“ in das Foyer der lettischen Nationalbibliothek. Ziemlich verdutzt beobachtete Lettlands Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma das kleine Geplänkel. Doch Juncker setzte nach und wiederholte das Wort „Diktator“ noch einmal – beim Handschlag. Danach bekam Orban dann noch eine freundschaftliche Ohrfeige des EU-Chefs und stand vor den Augen der Welt da wie ein kleiner, abgewatschter Schuljunge.

Es war alles ganz anders

Aber natürlich war alles ganz anders, das zumindest wird aus den Kreisen des ungarischen Regierungschefs verkündet. Orban antwortete nach Angaben seines Sprechers: „Hallo Großherzog“ – eine Anspielung auf Junckers Heimat Luxemburg, eines der kleinsten Länder der Welt. Orbans Sprecher Bertalan Havasi sagte, beiden Männern habe das Wortgeplänkel gefallen. „Orban begrüßt Juncker in der Regel so. Das ist schon seit Jahren so.“

Diese ironische Art Junckers ist wohl der richtige Weg mit Politikern wie Orban umzugehen, die versuchen, zu Hause jede Kritik im Keim zu ersticken.

Orbans politischer Irrlauf 

Orbán hat die EU in den vergangenen Jahren mehrfach provoziert. Er sorgte zuletzt bei einer Debatte im Europaparlament für Wirbel, als er ein Quotensystem für die Verteilung von Flüchtlingen als „Wahnsinn“ kritisierte. Er beharrte zugleich darauf, in Ungarn eine Debatte über die Wiedereinführung der Todes führen zu dürfen. Dies brachte ihm harsche Kritik aus allen Fraktionen ein.

Nicht der erste verbale Angriff

Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit hatte Orbán einst im EU-Parlament vorgeworfen, er sei auf dem besten Weg, ein „europäischer Hugo Chavez“ zu werden.

Der republikanische US-Senator John McCain hatte Orban im vergangenen Dezember als „neofaschistischen Diktator“ bezeichnet, „der sich mit (dem russischen Präsidenten) Wladimir Putin ins Bett legt“. Diese verbale Attacke fand Orban allerdings weniger nett. Er ließ das ungarische Außenministerium den obersten diplomatischen US-Vertreter im Land einbestellen.

Hier der Link zum Video auf Facebook mit dem Auftritt von Juncker und Orban

Wie viel „Charlie“ verträgt die Türkei?

Tuncay Akgün zu Gast im Literaturhaus Stuttgart. Der türkische Karikaturist erzählt von seiner Arbeit, den Beschränkungen, den Schwierigkeiten, dem Kampf gegen die Mächtigen in der Türkei und auch den kleinen Erfolgen.


Besonders bedrückend sind seine Erinnerungen an den Terroranschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Er selbst ist Chefredakteur beim türkischen Satiremagazin Leman, die schon seit Jahren immer wieder enge Kooperationen mit den Kollegen von Charlie Hebdo hatten. Dabei wurden nicht nur Karikaturen ausgetauscht, immer wieder diskutierten die Zeichner über die eigene Arbeit – dass sie lebensgefährlich sein könnte, ahnte niemand. Deutlich wurde, dass Tuncay Akgün es noch immer nicht fassen kann, dass an jenem Tag in Paris seine Freunde kaltblütig ermordet wurden. Die Zukunft von Charlie Hebdo sieht er skeptisch. „Sie haben Charlie Hebdo ermordet“, sagt der Karikaturist. Dann fügt er aber leise hinzu: „Aber was sollen wir jetzt tun? Wir müssen weitermachen!“


Zu Gast war Tuncay Akgün auf Einladung des Deutsch-Türkischen Forums und des Literaturhauses Stuttgart. Im Zentrum des Abends stand die Frage: Wie viel Charlie verträgt die Türkei? Die Veranstaltung stand in der Reihe „BAKIŞ – Die Türkei im europäischen Dialog“.

Anlass für den Abend war die Lage der Medien in der Türkei. Einerseits bieten sie ein breites Meinungsspektrum, auch Karikaturen haben eine lange Tradition und es wird inzwischen sogar auf Kurdisch publiziert. Und doch muss ein entschiedenes Andererseits hinzugefügt werden: in diesem Land der Widersprüche sitzen Journalisten im Gefängnis, werden Webseiten gesperrt, kann die Justiz auf ein Arsenal von Gesetzen zurückgreifen, mit denen sich die Pressefreiheit einschränken lässt. Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen, die seit einiger Zeit eine Rangliste der Pressefreiheit publiziert, vergleicht die Situation in 180 Staaten. Sie weist darauf hin, dass sich die Medienfreiheit in Europa weiter verschlechtert habe, etwa in Ländern Südosteuropas. Auch die Türkei ist in der Liste abgesackt: auf Platz 154.

  
Hier noch einige Informationen zu Tuncay Akgün. Er wurde 1962 in Istanbul geboren, begann 1981 für die Satirezeitschrift Gırgır zu arbeiten. Akgün wirkte als Zeichner und Redakteur für die Zeitschriften Fırt, Limon und Leman mit und ist besonders für die von ihm gezeichnete Figur „Bezgin Bekir“ bekannt. Heute ist er leitender Chefredakteur der Leman, der türkischen wöchentlichen Satirezeitschrift (Auflage 100.000 Stück).

Hier der Link zum Bericht im Literaturhaus

Hier der Link zum Beitrag auf Facebook

Hier der Link zu BAKIŞ auf Facebook

Und hier noch ein Nachtrag zur Pressefreiheit in der Türkei:

Ein Gericht in der türkischen Hauptstadt Ankara hat die Zeitung „Hürriyet“ wegen Beleidigung von Präsident Recep Tayyip Erdogan zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Gericht entschied am Donnerstag, die Zeitung habe in einer Kolumne Erdogans „persönliche Rechte“ angegriffen. Es verurteilte den Verfasser Mehmet Yilmaz sowie die „Hürriyet“-Vorsitzende Vuslat Dogan Sabanci deshalb zur Zahlung von 20.000 türkischen Lira (knapp 7000 Euro) Schmerzensgeld an den Präsidenten, wie die Nachrichtenagentur Anatolia berichtete.
Die Kolumne war am 25. August 2014 und damit zwei Wochen nach Erdogans Sieg bei der Präsidentschaftswahl erschienen. Yilmaz rief seinen Lesern darin die Korruptionsvorwürfe gegen Erdogan und andere türkische Spitzenpolitiker ins Gedächtnis. Erdogans Anwälte hatten dafür eine Strafe von 100.000 Lira (35.000 Euro) gefordert. In jüngster Zeit mehren sich in der Türkei die Fälle, in denen der Präsident wegen angeblicher Beleidigungen gegen Journalisten, Blogger und andere vorgeht. Am 7. Juni wird ein neues Parlament gewählt. Nicht zuletzt deshalb nahmen die Spannungen zwischen Erdogan und der Dogan Media Group, Eigentümer der viel gelesenen „Hürriyet“, in den vergangenen Wochen zu.
„Hürriyet“ hatte sich am Dienstag heftig gegen die jüngsten Attacken des Staatschefs gewehrt. „Was willst Du von uns? Warum hast Du es auf uns abgesehen?“, hieß es im Leitartikel, in dem Erdogan offenkundige Ungerechtigkeit, Verzerrung und selektive Darstellung von Fakten vorgeworfen wurde.

Lucke fürchtet um sein Lebenswerk

Der AfD-Chef bestreitet, dass er mit seiner Aktion „Weckruf 2015 die Partei spalten will. ihm gehe es vielmehr um die Einheit der Partei, betont er bei einem Gespräch in Straßburg. Für seine Stragegie, den national-konservativen Flügel zu isolieren erntet allerdings selbst bei seinen Unterstützen einige Kritik.


Bernd Lucke und seine Mitstreiter in Straßburg

Bernd Lucke bläst zum Kampf. Der Parteichef weiß, dass es sein letztes politisches Gefecht um die Vormacht in der AfD sein könnte. In Straßburg hat er deshalb am Dienstag seine prominenten Mitstreiter versammelt, um noch einmal öffentlich die eigenen Positionen abzustecken. Der Ex-Manager Hans-Olaf Henkel sitzt da in den holzgetäfelten Räumen der Europäischen Parlamentarischen Gesellschaft, einem herrschaftlichen Gebäude in der Allee de la Robertsau. Joachim Starbatty ist natürlich dabei, emeritierte Professor für Volkswirtschaftslehre und einer der profiliertesten Euro-Kritiker. Neben ihm sitzt Bernd Kölmel AfD-Landeschef in Baden-Württemberg, der langsam mit dem Wahlkampf für die Landtagswahl im kommenden Jahr beginnen sollte und bald vielleicht ohne Partei dasteht.

Ein Auftritt mit Drama-Faktor

Lucke, von persönlichen Naturell her eher der spröde Politikertyp, erlaubte sich bei dem Auftritt in Straßburg sogar eine gewisse Dramatik. In dem innerparteilichen Streit gehe es „um das Überleben der AfD“, formuliert der Mann, der sein politisches Lebenswerk in Gefahr sieht. Schon aus diesem Grund weißt er jede selbstzerstörerische Absicht weit von sich. Immer wieder betonte Lucke, dass er weder die Gründung einer neuen Partei plane, noch betreibe er eine Initiative zum Massenaustritt aus der AfD. Dass er seine Anhänger in dem neu gegründeten Verein „Weckruf 2015“ sammeln will, sei lediglich „der Versuch, die AfD zu retten“.

Die Fronten sind verhärtet

Das dürfte allerdings schwierig werden, denn die Fronten der beiden Lager stehen sich offensichtlich unversöhnlich gegenüber. Auf der einen Seite steht der wirtschaftsliberale Flügel um Parteichef Lucke, der die AfD „als das erhalten will, als was sie vor zwei Jahren gegründet worden ist“. Auf er anderen Seite sind seine national-koservativen Gegner, die nach Luckes Auffassung auf der Jagd nach Stimmen die Idee der Partei gefährlich verwässern wollen und auch nicht davor zurückschrecken, im rechtspopulistischen Sumpf zu fischen.

Eine AfD ohne Wutbürger

Lucke weiß ganz genau, was er nicht will: Eine AfD, in der die Wutbürger am Ende das Sagen hätten. „Das ist nicht die AfD, die wir gegründet haben“, sagt der Parteivorsitzende in Straßburg, „die AfD war immer eine Partei aus der Mitte der Gesellschaft, in der Bürger sachlich und vernunftsorientiert Lösungsvorschläge diskutiert haben.“

 Der „Weckruf 2015“

Um den rechten Flügel der Partei zu isolieren, schlägt Lucke mit dem „Weckruf 2015“ eine sehr riskante Strategie ein. In den neuen Verein sollten nach dem Willen des Parteivorsitzenden alle jene AfD-Mitglieder eintreten, die seinem Kurs folgen wollen. Auf diese Weise will Lucke ausloten, wie groß sein Rückhalt ist. „Viele der normalen Mitglieder hätten noch gar nicht verstanden, wie ernst die Lage wirklich ist“, glaubt er. Diese gelte es nun zu mobilisieren. Aus Parteikreisen verlautete am Dienstag, dass binnen zwölf Stunden mehr als tausend AfD-Mitglieder dem Aufruf zum Beitritt gefolgt seien. Aber selbst im eigenen Flügel ist dieser Weg nicht unumstritten. Viele der moderaten Mitglieder würden durch diesen Konfrontationskurs Bernd Luckes nur noch weiter aus der Partei getrieben, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Spott für den Parteichef

Zudem wird vermutet, dass Lucke – trotz aller Lippenbekenntnisse – sich mit den Vereinsmitgliedern von der AfD abspalten könnte, sollte er auf dem nächsten Parteitag im Juni seine Position nicht durchsetzten können. Der Co-Vorsitzende der AfD, Konrad Adam, reagierte mit Spott in der „Bild“-Zeitung: „Der Name ‚Weckruf 2015‘ ist wirklich kurios. Er erinnert an die Zeugen Jehovas oder an die Heilsarmee mit ihren Zeitschriften wie ‚Erwachet‘.“ Bernd Lucke und seine wirtschafts-liberalen Mitstreiter scheinen solche rüden Attacken inzwischen reichlich satt zu haben. Er sei im Wahlkampf von seinen politischen Gegnern immer wieder wüst beschimpft worden, sagt dazu Hans-Olaf Henkel, „aber was ich zuletzt an Angriffen aus der eigenen Partei erleben musste, ist damit nicht zu vergleichen“.

Trotz der politischen Flügelkämpfe und persönlichen Beleidigungen sieht Lucke noch die Chance auf eine Einigung mit dem national-konservativen Lager – selbst mit seiner Hauptwidersacherin und Co-Vorsitzenden Frauke Petry. „Ich hoffe, dass es in Kürze zu einem Gespräch mit Frau Petry kommt“, sagt Bernd Lucke in Straßburg. Da die AfD nur geschlossen überleben könne, so sein Fazit, sei eine Einigung natürlich auch in ihrem Interesse. Es gibt allerdings auch Zweifler, die nicht daran glauben, dass Frauke Petry ebenso rational denkt.

Hier ist der Link zu der Geschichte in der Stuttgarter Zeitung 

Pegida/Nopegida-Demos in Stuttgart

„Eure Kinder werden so wie wir!“ – Mit diesem Slogan brachten die Demonstranten der Nopegida-Demo die Teilnehmer der Pegida-Kundgebung gehörig auf die Palme. Rund 200 Rechtspopulisten hatten sich am Sonntagnachmittag auf dem Kronprinz-Platz in der Stuttgarter Innenstadt versammelt. Ihnen standen allerdings etwa 3000 Nopegida-Demonstranten gegenüber.

15.05-pegida05 Eine häufig gesehene Geste an diesem Nachmittag

Mehrere Hundert Polizisten war es gelungen, den Kornprinzplatz freizuhalten, wo sich rund 200 mit Deutschlandfahnen ausstaffierte Pegida-Anhänger versammelt hatten. Hauptredner der Pegida-Kundgebung war der Publizist Michael Mannheimer.

15.05-pegida09Der Kronzprinz-Platz in Stuttgart

Auch Mitglieder der rechten Gruppierung „Berserker Pforzheim“ wurden bei der Kundgebung in Stuttgart gesichtet. Sie versuchten, provokaten und selbstbewusst aufzutreten.

15.05-pegida14 Teilnehmer der Pegida-Demo zeigen Flagge

Der Nachmittag blieb im Großen und Ganzen allerdings friedlich. Die Polizeibeamten mussten aber einzelne Streitigkeiten und Rangeleien schlichten und den Pegida-Demonstranten den Zugang zum Kronprinzplatz bahnen. Dabei wurden auch Polizeibeamte zu Pferde eingesetzt. Äpfel und Eier flogen. Auch eine Rauchbombe wurde in die Mitte des Kundgebungsplatzes geworfen.


Die Veranstalter der Gegendemonstrationen hatten rund 8000 Teilnehmer angemeldet, Pegida hatte mit mehreren Hundert Anhängern gerechnet. Das Bündnis „Für Vielfalt, gegen Rassismus“ mobilisierte rund 70 Organisationen, Kommunalpolitiker und Gewerkschaftsvertreter gegen die Protest-Aktion der Islamkritiker.

15.05-pegida10 Viele Nopegida-Demonstranten hatten selbstgemachte Schilder dabei.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschlands (TGB), Gökay Sofuoglu, warnte: „Pegida darf keine Zukunft in dieser Stadt und in diesem Land haben.“ Er forderte die Parteien auf, sich stärker von Pegida zu distanzieren.

15.05-pegida04 Auch Pegida hat Schilder

Mit Bibelversen versucht eine Pegida-Anhängerin gegen die vermeintliche Islamisierung Deutschlands zu demonstrieren. Sie und die anderen rechtspopulistischen Teilnehmer fühlen sich sichtlich unwohl angesichts der Übermacht an Gegendemonstranten in Stuttgart. Die Reden der Rechtspopulisten werden immer wieder von den Gegnern lautstark übertönt.

15.05-pegida02 Abreise der Rechtspopulisten

Mit zwei Bussen werden die Pegida-Anhänger dann unter Polizeischutz unter lauten Buh-Rufen der Gegner aus der Innenstadt von Stuttgart abtransportiert. Wirklich selbstbewusst wirken sie nicht.

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Und dann noch einmal ein kurzer Gruß an die Abreisenden Pegida-Anhänger. Die winkten freundlich aus dem Bus-Fenster – das sollte wohl ironisch wirken, aus der Geste sprach allerdings offensichtlich vor allem Erleichterung.


Der Wunsch dieser Nopegida-Demonstrantin ist an diesem Tag in Stuttgart wohl in Erfüllung gegangen.

Hier der Link zur Berichterstattung in der Stuttgarter Zeitung

Hier das Fazit der Polizei am Tag nach den Demos