Der AfD-Parteitag in Stuttgart

Die AfD hat in Stuttgart getagt. An dem Bundesparteitag nahmen über 2000 Mitglieder der Partei teil. Da die Alternative für Deutschland aber keine „normale“ Partei ist, protestierten vor der Messehalle am Stuttgarter Flughafen mehrere Hundert Menschen. Fazit: viele Rangeleien, viele Festnahmen, kein Wasserwerfereinsatz und die AfD hat nun ein Programm – das ist allerdings heftig umstritten. Hier eine Fotoreportage. 
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Bereits am Flughafen in Stuttgart war zu sehen, dass der Parteitag der AfD kein normaler Parteitag ist. Polizisten sichern alle Zugänge zum Messegelände. Mehrere Tausend Beamte sind aus vielen Landesteilen nach Stuttgart abkommandiert worden. Sie sollen rund um die Messehalle und in der Stuttgarter City für Ruhe sorgen. Große Bedenken gab es bereits im Vorfeld, weil autonome Gruppen angekündigt hatten, den AfD-Parteitag gewaltsam zu stören.
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Der Polizei unterläuft allerdings ein taktischer Fehler. Offensichtlich ortsunkundige Polizisten schicken AfD-Mitglieder auf den falschen Weg in Richtung Tagungshalle. Kurz vor ihrem Ziel treffen die Teilnehmer dann auf die Gegendemo – die Situation droht zu eskalieren. Die Polizei versucht mit massiver Präsenz die Lage unter Kontrolle zu halten. Doch immer wieder kommt es zu Rangeleien zwischen Demonstranten und AfD-Anhängern.
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Die Menschen mit Lodenmänteln, Anzügen und Aktentaschen hatten es am Samstag schwer, in die Landesmesse zum Bundesparteitag der AfD vorzudringen. Etwa 1500 Demonstranten versperrten zeitweise den Zugang zu den Kongresshallen in Stuttgart – etliche der mehr als 2000 AfD-Mitglieder mussten sich so ihren Weg über Böschungen oder unter Polizeischutz zur Versammlung bahnen. Ihnen schallten Slogans entgegen wie „Nazis raus“, „Ade, ade zur AfD“ und „Wir kriegen euch alle“.
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Nach einiger Zeit beginnen die Polizisten die Demonstranten zurückzudrängen. Die Polizei nahm am Samstag 500 Demonstranten vorübergehend in Gewahrsam und sprach von gewaltbereiten Linksautonomen.
Die Polizei hatte nicht ausgeschlossen, dass es zu einem Gewaltausbruch wie bei der Neueröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt 2015 kommen könnte. Diese Äußerungen wiederum hat das Aktionsbündnis gegen die rechtspopulistische AfD als Kriminalisierung ihrer Demonstrationen gewertet. Überdies habe ein Polizeikordon den Zugang zur Kundgebung erschwert, sagt der Sprecher des Bündnisses, Mario Kleinschmidt. „Unser Versammlungsrecht wird mit Füssen getreten.“ Das Bündnis umfasste Gewerkschaften, Jugendorganisationen von SPD und Grünen sowie antifaschistische Gruppen.
Die Protestler wenden sich gegen Rassismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, für die die Alternative für Deutschland aus ihrer Sicht steht. „Das sind rechte Hetzer, das sind geistige Brandstifter“, sagt Kleinschmidt auf dem abseits von der Messe gelegenen Fernbusterminal. Nur dort wird die Kundgebung zum Unmut des Protestbündnisses genehmigt.
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Die Gegendemo will allerdings nicht so schnell aufgeben. Es kommt immer wieder zu Rangeleien zwischen Protestteilnehmern und Polizisten.
Aber auch im Saal nimmt man kein Blatt vor den Mund: Die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry spricht von „Freiheitsfeinden, Pluralismushassern und Antifa-Bodentruppen der Konsensparteien, die mit deren Duldung und zuweilen sogar deren Finanzierung gegen uns als Meinungsdissidenten kämpfen“. Für die „verfehlte Politik der Regierung“ müsse die Polizei ihre Knochen hinhalten.
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Mancher Protest vor der Halle viel sehr kreativ aus. Dieser Mann hatte seine Aktion nach eigenen Worte frist- und ordnungsgemäß angemeldet und durfte friedlich vor der Messehalle seinem Protest freien Lauf lassen. Zumindest für die vielen Fotografen war er mit seinem Fantasiekostüm ein willkommenes  Motiv.
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In der Messehalle in Stuttgart begann derweil der AfD-Parteitag. Frauke Petry begrüßte die mehr als 2000 Delegierten. Die Stimmung unter den Teilnehmern ist prächtig. Geprägt war das Klima insgesamt von großem Stolz nach den Rekordergebnissen bei den drei Landtagswahlen im März. Die Partei sieht sich jetzt auf dem Weg zur Volkspartei und will im kommenden Jahr in den Bundestag einziehen. Trotzdem sieht sich die AfD von den Medien und den „Konsensparteien“ – das sind alle von CDU/CSU bis zur Linken – ausgegrenzt.
In den zwei Kongress-Tagen zeigt die AfD allerdings zwei Gesichter: Die Versammlung in der Messehalle am Flughafen hätte streckenweise als Tagung politisch interessierter Bürger aus dem konservativen Lager durchgehen können. Andererseits präsentierte sich der Parteitag zwischenzeitlich als aufgebrachte Menge, in der manche Redner zur Abwehr diffuser Gefahren gegen alles Deutsche aufriefen und damit Rechtsradikalen ähnelten. Eine klare Abgrenzung nach Rechts fand nicht statt.
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Während in der Halle Reden geschwungen werden, geht der Protest auf der „Piazza“ weiter. Die Stimmung ist meist ausgelassen, droht aber immer wieder zu eskalieren, weil neue Demonstranten zur „Piazza“ durchstoßen wollen.
In der Halle wird unterdessen bekannt, dass linke Aktivisten auf ihrer Website die Daten der mehr als 2000 Teilnehmer des AfD-Parteitags in Stuttgart veröffentlicht haben. Die Daten umfassen die private Wohnadresse, Handynummer, Geburtsdatum und Emailadresse der AfD-Mitglieder. Sie wurden auf die Seite linksunten.indymedia.org gestellt, wie Parteichef Jörg Meuthen am Sonntag bestätigt. Er kündigte sofortige strafrechtliche Schritte an. Es sei zu befürchten, dass den AfD-Mitgliedern nun „kollektive Hausbesuche“ von Linken drohten.
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Während die Stuttgarter Polizei nach Abschluss der Demo von rund 1800 Teilnehmern spricht, vermeldet das Aktionsbündnis mehr als 4000 Demonstranten. Die Polizei nimmt vor Beginn der Demo eine Frau und drei Männer zunächst in Gewahrsam, weil sie Messer, Wurfgeschosse und Vermummungsmaterial dabei hatten. Während des Aufzugs seien vereinzelt bengalische Feuer und Rauchbomben gezündet worden, außerdem seien die Einsatzkräfte mehrmals mit Gegenständen beworfen worden – darunter auch mit mutmaßlich mit Kot gefüllten Beuteln. Zu gewalttätigen Ausschreitungen sei es nicht gekommen.
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Die Polizei kommt mit einer Reiterstaffel und deutlich über 1000 Einsatzkräften auf Messegelände. Die vier bereit gestellten Wasserwerfer kommen nicht zum Einsatz. Die Beamten liefern sich immer wieder Scharmützel mit den Demonstranten, kesseln Gruppen ein und setzen gegen Flaschenwerfer Pfefferspray ein. Mehrere Hundert Menschen werden vor allem wegen Landfriedensbruchs in Gewahrsam genommen. Das Szenario, das die zuständige Reutlinger Polizei zuvor befürchtet hatte, bleibt jedoch aus.
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Nach einigen Stunden verlor der Protest seinen Schwung und die Demo auf der Piazza löst sich auf.
Zuvor ist es allerdings nicht überall so friedlich zugegangen. Nach Angaben des für die Stuttgarter Messe zuständlichen Polizeipräsidiums Reutlingen hatten ab kurz vor 7 Uhr gewaltbereite Linksautonome versucht, auf das Messegelände zu gelangen. Dabei seien Polizeibeamte mit bengalischem Feuer und mit Leuchtraketen attackiert worden. Als diese Störaktionen unterbunden waren, habe sich der Protest auf die nahe A8 und die Bundesstraße 27 verlagert. Dort hätten die Randalierer versucht, die Fahrbahnen zu blockieren, teils mit brennenden Autoreifen. Insgesamt nahm die Polizei 400 der rund 900 Demonstranten vorübergehend in Gewahrsam.
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Das mediale Interesse an dem Parteitag ist sehr groß. Immer wieder müssen Parteimitglieder Rede und Antwort zu den Beschlüssen stehen. Vor allem die Haltung zum Islam war ein Thema. Die AfD hat sich drei Jahre nach ihrer Gründung auf einen klaren Anti-Islam-Kurs festgelegt. „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, heißt es in dem entsprechenden Kapitel für das erste Grundsatzprogramm der Partei. Minarette, der Muezzinruf und jegliche Vollverschleierung sollen verboten werden. Die Partei bekennt sich zur „Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit“. Der Religionsausübung müssten aber klare Schranken gesetzt werden.
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Mit von der Partie in Stuttgart ist auch „Die Partei“. Sie hat ihren Protest angemeldet und durfte deshalb direkt vor der Halle demonstrieren. Niemand der AfD-Mitglieder will allerdings die angebotene Torte – ein offensichtlicher Hinweis auf ein „Torten-Attentat“ auf die AfD-Frontfrau Beatrix von Storch.
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Im Lauf des Tages gibt es auch einen Protest des „Aktionsbündnis gegen den AfD-Bundesparteitag“ wegen der Polizeiaktionen. Das Polizeipräsidium Reutlingen wies Vorwürfe, Demonstranten seien am Samstagmorgen nicht zu genehmigten Mahnwachen durchgelassen worden. „Das ist falsch. Denn bei allen vier genehmigten Mahnwachen kam es zu teils handgreiflichen Konflikten zwischen Parteitags-Teilnehmern und Demonstranten“, sagte er. Die Beamten hätten alle Hände voll damit zu tun gehabt, den Teilnehmern des AfD-Parteitages, der bereits um 10 Uhr beginnen sollte, sicheres Geleit in die Messe Stuttgart zu gewähren. Der Parteitag startete auch wegen der Demos mit mehr als einer Stunde Verspätung.
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Und immer wieder Interviews, denn es gab viel zu erklären. Die AfD will einem weiteren Beschluss zufolge einen Euro-Austritt per Volksentscheid erreichen. Zudem legte der Kongress fest, dass die Absage an einen EU-Beitritt der Türkei „nicht verhandelbarer Inhalt jeglicher Koalitionsverhandlungen“ sei. Gefordert wird zudem ein Ende der EU als politisches Bündnis und die Neugründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nach dem Vorbild der früheren EWG. Zu Beginn des zweiten Tags des Parteitags wurde zunächst ein Beschluss des Vorabends zurückgenommen, wonach Einwanderung generell „problematisch“ sei. Nun heißt es, wie vom Vorstand formuliert, dass eine „maßvolle legale Einwanderung“ in den Arbeitsmarkt auch aus Drittstaaten möglich sein soll. Die deutschen Außengrenzen sollen nach dem Willen der Partei wieder flächendeckend gesichert werden, gegebenenfalls mit Zäunen. Auch Grenzübergangsstellen soll es bei Bedarf wieder geben. Die AfD will „mehr Kinder statt Masseneinwanderungen“, sie bekennt sich zur traditionellen Familie aus Vater, Mutter und Kindern als „Keimzelle der Gesellschaft“.
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Auch das gehört dazu: AfD-Nippes. Allerdings findet er nicht allzu reißenden Absatz. Nur wenige Delegierte streifen sich ein AfD-T-Shirt über. Auch die Fähnchen und Kappen lagen eher wie Blei auf den Tischen. Die Gummibärchen gibt es von christlichen Abtreibungsgegner in der Partei.

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Auch nach dem Abzug der Demonstranten ist die Polizei präsent. Die Wasserwerfer kommen allerdings am Wochenende nicht zum Einsatz.

In der Halle wird inzwischen deutlich. Die Machtverhältnisse in der Führung scheinen sich zu verändern. In Stuttgart wirkte Petrys Ko-Sprecher Jörg Meuthen wie der neue Stern am AfD-Himmel. Der Saal tobte, als der baden-württembergische Fraktionschef weg wollte vom „rot-grün verseuchten und leicht versifften 68er-Deutschland“. Leitkultur sei nicht der Islam, sondern die christlich-abendländisch geprägte Kultur. Ein Muezzinruf dürfe nicht die Selbstverständlichkeit wie das Geläut von Kirchenglocken haben.
Den Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit nannte er aber „eine schiere Lüge“. Meuthen gehört zum moderaten Flügel seiner Partei, doch wo er wirklich steht, ist bei vielen Fragen schwer oder überhaupt nicht auszumachen. Der Wirtschaftswissenschaftler neigt dazu, Gegensätze konsequent herunterzuspielen. Klare Aussagen macht er in Richtung anderer, etwa zu CDU/CSU-Mitgliedern, die im Unterschied zu AfD-Anhängern „Duracell-Klatschhäschen“ seien.
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Am Ende hat sich die AfD im dritten Jahr ihres Bestehens ein Grundsatzprogramm gegeben. Hier die wichtigsten Beschlüsse:

  • „Ungeregelte Asylzuwanderung“ schadet Deutschland. Willkommen sind „qualifizierte Einwanderer mit hoher Integrationsbereitschaft“.
  •  „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“
  •  Direktwahl des Bundespräsidenten
  •  Volksentscheide nach Schweizer Vorbild
  •  Krippenbetreuung und häusliche Erziehung sollen gleichberechtigt nebeneinander stehen.
  •  Beschränkung der Mandatszeiten von Abgeordneten auf vier Legislaturperioden. Ausgenommen sind Direktkandidaten.
  •  Strafmündigkeit ab 12 statt ab 14 Jahren
  •  Die Türkei soll niemals Mitglied der EU werden können.
  •  Eine grundlegende Reform der EU – zurück zu mehr Souveränität der Nationalstaaten.
  •  Ausweisung straffälliger Ausländer erleichtern ?
  •  Die Zahl der Abtreibungen soll sinken. Dies soll durch neue Maßgaben für die Beratung von Schwangeren erreicht werden.
  •  Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in seiner jetzigen Form. Es soll nur noch zahlen, wer auch tatsächlich zuschaut oder zuhört.