Ein Leben auf der Flucht

Der Bürgerkrieg in Syrien ist eine der größten Flüchtlingskatastrophen der Menschheit. Die Zahl der Menschen, die vor dem Konflikt in Syrien in die Nachbarländer geflohen sind, hat längst die Vier-Millionen-Marke überschritten. Damit ist der Konflikt in Syrien Ursache der größten Flüchtlingskrise unter UNHCR-Mandat seit einem Vierteljahrhundert. In dieser Fotoreportage führen wir sie durch die Flüchtlingslager in Jordanien und im Libanon. 

.

IMG_0973

.

Zudem sind innerhalb Syriens mindestens 7,6 Millionen Menschen auf der Flucht. Viele von ihnen leben unter schwierigen Bedingungen und in Regionen, die schwer zu erreichen sind. Der ehemalige UN-Flüchtlingskommissar António Guterres warnte bereist im Jahr 2013 davor, die Lage zu unterschätzen. Er sagte dazu:

„Dies ist die größte Flüchtlingsbevölkerung eines einzelnen Konflikts seit einer Generation. Es sind Menschen, die internationaler Unterstützung bedürften, stattdessen aber unter härtesten Bedingungen leben und immer weiter in die Armut abrutschen.“

Aber auch im sechsten Jahr des Krieges ist kein Ende in Sicht. Die Krise verschärft sich weiter und immer mehr Menschen werden heimatlos.

Um die Katastrophe zu lindern, bemühen sich viele Hilfsorganisationen, den Menschen zu helfen. Das UNHCR und das WFP haben aus der Arbeit in und um Syrien viel Erfahrung gezogen. Immer wieder wird betont, dass es nicht nur wichtig ist, den Menschen zu helfen, sondern auch einen Überblick zu gewinnen, wer was und wie viel zum Überleben braucht. Dazu haben die Organisationen längst professionelle Strukturen zur Registrierung aufgebaut.

.

16.05.28-stat-jord02

Statistik des WFP, wo in Jordanien geholfen wird.

.

Eine dieser Stellen befindet sich in Amman. Dort werden die ankommenden Flüchtlings mit der allerneusten Technik erfasst. Dazu gehört auch das Scannen der Iris. Damit kann jeder Flüchtling genau identifiziert werden. Der Iris-Scan ersetzt aber nicht nur das Ausweisdokument – die erfassten Menschen können auf diese Weise auch in ausgewählten Geschäften bezahlen.

Mehr Informationen zur Arbeit des WFP in der Region gibt es hier.

.

IMG_0866

Eine Familie bei der Erfassung. Im Vordergrund der Iris-Scanner.

.

Volker Schimmel, Mitarbeiter des UNHCR, hat den Überblick über die Lage in Jordanien. Er arbeitet seit mehrere Jahren für die Hilfsorganisation und koordiniert in dem Land die Hilfe für die syrischen Flüchtlinge. In dem Video gibt er eine Einschätzung der Lage in der Region.

.

„Aufgrund der Dauer des Konflikts haben syrische Flüchtlinge ihre Mittel aufgebraucht. Die Staaten, in denen sie Asyl gefunden haben, sind strukturschwach und können nicht weiter helfen.“ (Volker Schimmel)

.

.

Die Registrierung der Flüchtlinge ist für die meisten eine sehr aufregende Prozedur. Doch die Menschen lassen alles klaglos über sich ergehen. Sie wissen, dass ihnen geholfen wird. Im Bild erklärt eine UN-Mitarbeiterin einem Flüchtling den Sinn des Iris-Scans. Der lässt sich dann mit Hilfe der neuen Technik registrieren.

.

.

Der Iris-Scan dient nicht nur zur Identifizierung der Flüchtlinge. Sie können auf diese Weise auch in Supermärkten im Lager in Zaatari bezahlen. Das funktioniert nicht immer auf Anhieb, ist aber ein großer Fortschritt bei der Versorgung der Menschen.

.

IMG_0828

Ein Mann bezahlt in Zaatari mit einem Iris-Scan seine gekaufte Ware.

.

In dem Supermarkt in dem Lager Zaatari in Jordanien gibt es ein breites Angebot für die Flüchtlinge. Pro Monat und Person haben sie rund 27 Dollar zur Verfügung. Die Menschen klagen aber, dass diese Summe nicht reicht, um sich wirklich zu versorgen.

Bezahlt wird natürlich nicht nur mit dem Iris-Scan, sondern auch mit der Geldkarte, die die UN seit mehrere Jahren austeilt. Jeden Monat werden dazu auf ein Konto die finanziellen Hilfen für die Flüchtlinge gebucht. Allerdings kommt es auch vor, dass Syrer, die zurück gehen, die Karte einer anderen Familie geben. Das fällt dann erst auf, wenn nach einem Jahr die Karte erneuert werden muss. Mit dem Iris-Scan sind solche Dinge unmöglich.

.

.

Immer wieder werden die Flüchtlinge darauf hingewiesen, was sie mit der finanziellen Unterstützung der UN kaufen dürfen. Nicht dazu gehören natürlich Alkohol und Tabak, aber auch keine Haushaltsgeräte.

.

IMG_0937

.

Die Flüchtlinge in Zaatari können sich aber nicht nur im offiziellen Supermarkt mit Dingen des täglichen Lebens versorgen. Seit Jahren gibt es den Champs Elysée, die Einkaufsstraße im Camp. Sie ist mehrere Hundert Meter lang und dort sind zahlreiche Dinge zu kaufen – auch Brautkleider und Baumaterial.

.

.

Die UN legen sehr viel Wert darauf, dass den Flüchtlingen nicht nur Sachleistungen zukommen. Dadurch, dass sie sich ihre Lebensmittel selbst kaufen können, wird ihnen auch ein Stück ihrer Würde zurück gegeben, die sie durch die Flucht verloren haben.

Das Video zeigt einen kurzen Einblick in das Treiben auf der Champs Elysée.

.

.

Doch nicht alle syrischen Flüchtlinge leben in Jordanien in einem Lager. Viele haben Zuflucht in den Städten des Landes gefunden. Aber sie fristen ein karges Dasein. Etwa 86 Prozent syrischen Flüchtlinge in Jordanien, die außerhalb der Camps untergekommen sind, leben nach Angaben der Vereinten Nationen unter der Armutsgrenze von 3,20 US-Dollar am Tag.

.

16.05.28-stat-jord01

Einige Zahlen des WFP zu ihrer Hilfe in Jordanien

.

Die Familie auf dem Foto lebt rund 30 Kilometer von Amman in einem kleinen Vorort. Sie wollen nicht ins Lager, da sie sich dort eingesperrt fühlen. Ohne die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft könnten sie allerdings nicht überleben. Die Mutter sagte, dass sie mit sieben Kindern in einer kleinen Wohnung lebe. Zwei weitere Kinder seien bereits verheiratet und deswegen nicht mehr zuhause.

Die Möglichkeit der Ausreise kommt für die Frau nicht in Betracht. Sie will die Familie nicht auseinander reißen, begründet sie ihr Bleiben. Wenn der Krieg zu Ende sei, würden sie sofort in ihre Heimat zurückkehren, zurück in ihr Dorf, wo noch einige Verwandte ausharren würden.

.

IMG_0889

Syrische Flüchtlinge in Amman.

.

Aber mit dem Fortdauern des Konfliktes schwindet in der ganzen Region die Hoffnung, nach Hause zurückkehren zu können. Flüchtlinge verarmen zunehmend, mit der Konsequenz, dass Kinderarbeit, Betteln und Kinderehen auf dem Vormarsch sind. Die Konkurrenz um Arbeit, Land, Wohnraum, Wasser und Energie ist zu einer großen Belastung für die ohnehin geschwächten Aufnahmestädte und –gemeinden geworden, deren Unterstützung für die Flüchtlinge vor immer größeren Herausforderungen steht.

Über eine Million Syrer sind auf der Flucht vor den Kämpfen im Libanon gestrandet. Auch dort wird versucht, der Krise Herr zu werden. Die folgenden Bilder zeigen die Registrierung der Flüchtlinge in Beirut.

Offizielle Camps gibt es im Libanon nicht, weil die Regierung des Libanon nicht noch einmal Flüchtlinge aufnehmen will. Vor 40 Jahren hat die Flüchtlingskatastrophe der Palästinenser den Libanon an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Das will das Land nicht mehr riskieren – dennoch wird den Menschen natürlich geholfen.

.

.

Ohne Unterstützung aus der Bevölkerung wäre diese Hilfe allerdings nicht möglich. Am Rand des Bekaa-Tals hat Madame Tannouri 86 Syrer bei sich aufgenommen. Das geschieht allerdings nicht aus völligem Altruismus. Die Menschen bezahlen natürlich Miete – 200 Dollar für ein Stockwerk. Allerdings ist ein Familienoberhaupt seit einem Arbeitsunfall nicht mehr in der Lage, Geld zu verdienen. Ihm wird die Miete gestundet, bis wer wieder auf den Beinen ist.

Zu diesem Mietverhältnis ist es erst allmählich gekommen. Der Mann von Madame Tannouri hat ein Bauunternehmen und beschäftigt seit Jahren syrische Saisonarbeiter. Als der Krieg losbrach, haben diese Männer ihre Familien in den Libanon geholt. Alle dachten, das sei eine Lösung für einige Wochen – inzwischen sind daraus mehrere Jahre geworden.

.

IMG_0995

Madame Tannouri und ihre Flüchtlinge.

.

Doch nicht allen Nachbarn der Tannouris gefällt die Anwesenheit der syrischen Flüchtlinge. Ein Nachbar hat Anzeige erstattet. Madame Tannouri hat auch schon eine Strafe gezahlt, hat sich am Ende aber doch so mit den Behörden geeinigt, dass die syrischen Familien weiter bei ihr wohnen können.

Weiter im Bekaa-Tal in Richtung syrischer Grenze nimmt die Zahl der Flüchtlinge stetig zu. In einer kleinen Stadt leben 6000 Einwohner und rund 20.000 Flüchtlinge. Auch die Syrer wissen, dass das eine große Belastung ist und sind froh, dass die Libanesen das sehr gelassen hinnehmen.

.

16.05.28-unhcr-lib-demo

Die Grafik zeigt demografische Zusammensetzung der Flüchtlinge im Libanon. Die meisten von ihnen sind unter 18 Jahre alt.

.

Im Gemeindehaus wird die Hilfe für die Flüchtlinge organisiert. Dort werden sie registriert oder bekommen juristische Hilfe. Auch für die Kinder wird dort gesorgt. Eine Hilfsorganisation hat eine Art Kindertagesstätte eingerichtet, wo die Kinder jeden Tag mehrere Stunden beschäftigt werden. Gerade für sie sind die Erlebnisse aus dem Krieg nicht immer einfach zu verarbeiten.

.

IMG_0963

Eine Frau kümmert sich um die Kinder.

.

Im Bekaa-Tal leben unzählige Flüchtlinge in informellen Siedlungen – Camps dürfen diese Ansammlungen von Zelten und Hütten nicht genannt werden. Die Syrerin Amine wohnt mit ihrem Mann und den beiden Kindern seit mehrere Jahren in einem Zelt. Anfangs hätten sie weiter im Norden, direkt an der Grenze zu Syrien gelebt, dann seien aber auch dort ständig Kämpfe ausgebrochen. Deshalb sind sie weiter ins Landesinnere gezogen.

Ich Mann ist krank, hat ständig epileptische Anfälle und kann nicht arbeiten. Sie sagt, dass sie ohne die Hilfe aus dem Ausland verhungern müssen – oder sie würden auf der Straße betteln gehen.

.

IMG_0970

.

Die Umstände, unter denen die Menschen in diesen „informellen Siedlungen“ leben, sind unmenschlich. Im Winter sind sie kaum zu heizen und wenn es regnet, ist alles nass. Die Kinder haben kaum Chancen, zur Schule zu gehen.

.

IMG_0983

.

Der ehemalige UN-Flüchtlingskommissar António Guterres sagte bereits im Jahr 2013:

„Eine Million Flüchtlinge aufzunehmen wäre für jedes Land eine enorme Aufgabe. Der Libanon,  ein kleines Land mit internen Schwierigkeiten, wird dadurch erschüttert. Die libanesische Bevölkerung hat unglaubliche Großzügigkeit bewiesen, aber es wird für sie immer schwieriger, mit der Situation zurecht zu kommen. Der Libanon hat die höchste Flüchtlingsdichte in der jüngsten Geschichte. Wir können das Land diese Last nicht allein schultern lassen.“

 

Hier ein Bericht der Deutschen Welle über die Situation der Flüchtlinge im Libanon.

.

.

Ein zentrales Problem der Flüchtlinge ist der begrenzte Zugang zum Arbeitsmarkt – nicht nur im Libanon. Ohne Arbeitsmöglichkeiten kämpfen viele Flüchtlinge um das tägliche Überleben. Sowohl im Libanon, in Ägypten wie auch in Jordanien gaben Flüchtlinge die fehlende Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu sichern und den fehlenden Zugang zum Arbeitsmarkt als Problem an.

Der fehlende Zugang zum Arbeitsmarkt führt dazu, dass Flüchtlinge aus ihrer Not heraus, ungeregelte Arbeit annehmen und somit Ausbeutung, unsichere Arbeitsbedingungen und eine Unter- oder Nichtbezahlung von ausbeuterischen Arbeitgebern riskieren. Außerdem drohen den Flüchtlingen Sanktionen, wenn sie illegal arbeiten, so werden sie in Jordanien in die Camps zurückgeschickt. Im Libanon müssen Flüchtlinge seit kurzem für die Verlängerung ihres Aufenthaltsstatus eine Vereinbarung unterschreiben, mit der sie sich verpflichten, nicht zu arbeiten.

.

IMG_0847

.

Besonders in Jordanien und im Libanon sind eingeschränkte Bildungsmöglichkeiten für Flüchtlinge ein großes Problem. Bildung ist für Syrer ein hohes Gut. Vor dem Krieg war es in Syrien verpflichtend eine kostenfreie Schule zu besuchen. Die sich verschlechternde Situation der Flüchtlinge im Exil hat dramatische Folgen für ihre Bildung. In Jordanien müssen nach UN-Angaben rund 20 Prozent der Kinder die Schule abbrechen um eine Arbeit aufzunehmen. Bei Mädchen führt diese Situation in einigen Fällen auch zu frühen Zwangsehen. Rund 90.000 Syrer im schulpflichtigen Alter besitzen keine formale Bildung, 30.000 von ihnen haben zwar Zugang zu gelegentlichen Bildungsangeboten, die restlichen Flüchtlinge aber haben überhaupt keine Möglichkeit diese wahrzunehmen.

Im Libanon wird Bildung für Syrer kostenfrei in einem Zweischichtensystem angeboten. Viele Kinder finden empfinden nach Aussagen der UN den neuen Lehrplan als zu schwierig oder können kaum anwesend sein, weil sie gleichzeitig ihre Familie unterstützen müssen. Obwohl das libanesische Bildungsministerium die Plätze für syrische Schulkinder um 100 Prozent erhöht hat (200.000 im Schuljahr 2015/2016), werden weitere 200.000 Kinder in diesem Jahr keine Schule besuchen können.